Neuburg
Wundermittel "Q 10" an Rentner verkauft

Neuburger Senioren auf Kaffeefahrt abgezockt – Polizei ermittelt – Ministerin Ulrike Scharf will Verbot

13.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:55 Uhr

Neuburg (r) „Ja, fangen die schon wieder an“ Die Gemeindebeamtin des Ortes Alteglofsheim, Kreis Regensburg, ärgert sich über eine Werbeveranstaltung in einer Gaststätte in ihrem Ort. Sie war nicht genehmigt und hat drei Rentnern aus Neuburg viel Geld gekostet. Ein 90-Jähriger hat Anzeige erstattet.

Es geht um Wucher und unseriöses Abzocken von Senioren bei sogenannten Kaffeefahrten. Der 90-jährige Neuburger hatte eine „Gewinnnachricht“ erhalten. Er sei für den zweiten Preis von 500 Euro „nominiert“ worden. Der Rentner war neugierig und stieg vergangene Woche mit etwa 20 Mitfahrern am Neuburger Bahnhof in den angekündigten Bus ein. Es sollte zur „Sommerschifffahrt“ nach Regensburg gehen. Die Reise endete in besagtem Lokal in Alteglofsfheim. Es habe ein Essen gegeben, danach ging die Werbeveranstaltung los.

Zwei redegewandte Vertreter verkauften die ersten Artikel und Geräte. Dem Nahrungsergänzungsmittel „Q 10“ schrieben sie heilende Wirkung gegen Arthrose und andere Gebrechen zu. Interessenten seien in einen abgeschirmten Raum zum Weiterverhandeln gebeten worden.

Der 90-jährige Pensionär kaufte drei kleine Kartons mit je 30 Fläschchen Vitaminmittel „Q 10“ mit je 25 Milligramm. Sie sollten offenbar 1400 Euro kosten. Die Vertreter zogen den „Gewinn“ von 500 Euro ab und gewährten noch Rabatt. Der Neuburger bezahlte 700 Euro, ein Paar aus Feldkirchen vermutlich über 1000 Euro für die Präparate. Weil die Rentner nicht soviel Geld dabei hatten, brachte sie einer der Handelsvertreter mit einem Kombi nach Neuburg. Dort gingen sie in ihre Banken, hoben die Summen ab und überreichten sie dem Fahrer. Der bedankte sich und fuhr davon. Die Neuburger blieben mit ihren Präparaten zurück. Eine Rechnung oder die Namen der beiden Vertreter haben sie nicht.

Die Donau-Schifffahrt ist übrigens ins Wasser gefallen, weil die Reisegesellschaft nach den aggressiven Werbe- und Verkaufsversuchen nicht mehr in Stimmung gewesen sei.

Die Adresse der Kaffeefahrt-Veranstalter „HPV International“ im norddeutschen Börger ist vermutlich nur ein Briefkasten, vermutet die Neuburger Polizei. Nach den bisher bayernweit gemeldeten Fällen stecke eine holländische Firma hinter den Fahrten. Vermutlich haben zwei 39 und 43 Jahre alte Männer aus Bremen die Werbeveranstaltung bestritten und die Neuburger Rentner abkassiert. Gegen die Norddeutschen sei bereits mehrmals wegen Verstoß gegen die Gewerbeordnung ermittelt worden.

„Es handelt sich um übles Abzocken von arglosen Menschen“, sagt Polizeihauptkommissar Franz Neubauer, „Rentner werden überredet und bedrängt, stark überteuerte Artikel und Präparate zu kaufen.“ Kontakt mit der Gemeinde Alteglofsheim hat der Beamte bereits aufgenommen, auch der betroffene Gastwirt soll sich erklären. Der Gemeinde, die bis 2013 großen Ärger mit Kaffeefahrten von Veranstaltern aus Cloppenburg und anderen niedersächsischen Landkreisen hatte, ist sehr daran gelegen, die Wucher-Masche zumindest in ihrem Ort zu beenden.

Ob die Neuburger ihr Geld wiederbekommen, ist fraglich. Die Polizei geht dem Fall jedenfalls nach. „Gefragt ist hier die Politik, um die Kaffeefahrten zu beenden“, meint Hauptkommissar Franz Neubauer.

Bayerns Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf hat in der Tat im Juni im Bundesrat den Vorschlag eingebracht, den Verkauf von Finanzdienstleistungen, Nahrungsergänzungsmitteln, Medizinprodukten und Pauschalreisen bei Kaffeefahrten zu verbieten.

Die Ministerin: „Massiver psychischer Druck bei Verkaufsveranstaltungen in häufig abseits und einsam gelegenen Gasthöfen ist nicht hinnehmbar. Wir wollen verhindern, dass unseriöse Anbieter den Menschen mit überteuerten Angeboten für nutzlose Dinge das Geld aus der Tasche ziehen.“

Die Gewerbeordnung soll geändert und der Bußgeldrahmen deutlich verschärft werden. Ulrike Scharf: „Wir wollen den Schutz der Menschen vor kriminellem Verhalten bei Kaffeefahrten weiter verbessern. Wir ziehen jetzt die Daumenschrauben bei den unseriösen Anbietern an: Wer sich nicht an die Spielregeln hält, soll künftig empfindliche Sanktionen bekommen.“