Neuburg
„Wir vertreten den kleinen Mann“

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr
Sie wollen kritisch bleiben: Sandra Andritschke und Bernhard Peterke vom VdK-Kreisverband Neuburg-Schrobenhausen. −Foto: Stefan Janda

Neuburg (DK) Der Sozialverband VdK setzt sich im Kreis Neuburg-Schrobenhausen seit 70 Jahren für benachteiligte Menschen ein. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklären Geschäftsführerin Sandra Andritschke und der Vorsitzende Bernhard Peterke, warum diese Arbeit sich zwar gewandelt, aber bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat.

Frau Andritschke, Herr Peterke, der VdK-Kreisverband hat vor knapp einem Jahr sein 5000. Mitglied aufgenommen. Wo stehen Sie heute?
Bernhard Peterke: Wir haben heute zirka 5100 Mitglieder. Das ist keine schlechte Steigerung, man muss aber natürlich berücksichtigen, dass es auch immer wieder Abgänge gibt. 

Wie erklären sie sich diesen Zuwachs?
Peterke: Es wird heutzutage immer schwieriger, in Sozialsachen Recht zu bekommen. Eine kompetente Beratung und Unterstützung ist daher für viele Menschen zwingend erforderlich – und das bietet der VdK.

In Deutschland geht es vielen Menschen heute so gut wie nie zuvor. Trotzdem ist der Bedarf an den Angeboten Ihres Verbands hoch.
Sandra Andritschke: Wir merken bei bestimmten Beschäftigungsverhältnissen, dass gesundheitliche Einschränkungen und fortschreitendes Alter Einzug halten und viele Menschen ihre Arbeit deshalb einfach nicht mehr schaffen und krank werden. Das sind oftmals schleichende Prozesse, manch?mal auch ganz akute. In solchen Fällen müssen wir Wege finden, um diese Existenzen zu sichern – über unser gesamtes Leistungsspektrum, das das komplette Sozialrecht beinhaltet, also Schwerbehinderung, Pflege, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe.

Ist das nicht genau das, was auch die Behörden machen?
Andritschke: Das ist tatsächlich eine öffentliche Aufgabe, das stimmt. Aber die Leute wissen oft gar nicht, was alles möglich ist, und suchen nach Hilfe. Oft wird ihnen diese Hilfe auch verwehrt. Beispielsweise wegen rechtlicher Änderungen. Es wird beispielsweise immer schwieriger, bei einer Schwerbehinderung eine Einstufung zu bekommen. Darum muss man oft kämpfen, und genau da können wir im Sozialrechtsverfahren für unsere Mitglieder tätig werden. 
Peterke: Der Erfolg des VdK liegt eben auch darin, dass wir für verzweifelte Menschen ein offenes Ohr haben und ihre Sorgen und Nöte ernst nehmen. Das ist für viele ein ganz wichtiger Punkt.

Also leisten Sie mehr oder weniger Hilfe zur Selbsthilfe.
Andritschke: Auch die Durchsetzung der einzelnen Rechte ist kompliziert geworden. Die Behörden lehnen manchmal recht schnell ab, weil eine Individualprüfung nicht möglich ist. Wenn dann der VdK Widerspruch einlegt, ist aber klar: Wir lassen nicht locker. Der VdK hat mittlerweile eine bestimmte Stellung.
Peterke: Wir sind sozusagen die Rechtsvertretung für den kleinen Mann.

Darüber hinaus spielt auch das Ehrenamt eine große Rolle. Warum ist das so wichtig?
Peterke: Unsere Ehrenamtlichen sind beispielsweise als Pflegebegleiter tätig, die pflegende Angehörige im Alltag unterstützen. Das ist keine Pflege selbst, sondern eine Entlastung der pflegenden Personen. Auch der Besuchsdienst in der Geriatrie gehört zu den Leistungen des VdK. Dabei gehen die Helfer mit Patienten zum Gottesdienst oder zum Einkaufen, sie spielen zusammen etwas oder machen einen Spaziergang. Auch die VdK-Lotsen sind ein wichtiger Bestandteil; sie helfen Leuten in schwierigen Situationen. Der Lotse vermittelt aber nur, er berät nicht. Das Vereinsleben selbst findet in unseren sehr aktiven Ortsverbänden statt. Das alles zusammen macht die große VdK-Familie aus. 

Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen gibt es kleine Dörfer, mittlere Gemeinden und zwei Städte mit ihren Problemvierteln. Wie unterscheidet sich die Arbeit dadurch?
Andritschke: Auf dem Land sind es oft ganz wichtige Sachen, die uns beschäftigen, beispielsweise Anfragen zur Rente. In der Stadt geht es hingegen um weniger existenzielle Dinge, sondern nur um Teilbereiche unserer Arbeit. 

Ein Schwerpunktthema des VdK ist heuer der Kampf gegen die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft. Inwieweit betrifft das den Landkreis?
Andritschke: Das Problem hier sind vor allem die prekären Beschäftigungsverhältnisse. Wenn die Menschen mit einem Job nicht auskommen und nicht wissen, wie sie alles schaffen sollen. Oft rufen am Freitag Leute an, weil sie nicht wissen, wie sie über das Wochenende kommen sollen. Eine direkte Folge daraus ist Altersarmut.
Peterke: Auch bei uns im Landkreis gibt es viele Menschen, die nach Mindestlohn bezahlt werden. Selbst bei einer Vollzeitstelle haben sie nicht mehr als 1500 oder 1600 Euro brutto. Das in Kombination mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum, also hohe Mieten, ist ein großes Problem. 

Eine Folge dieser Situation ist die Kooperation des VdK mit dem Neuburger Mieterverein. 
Peterke: Richtig, dazu gab es bisher nur positive Rückmeldungen. 
Andritschke: Unser Netzwerk ist uns wichtig, dazu gehört unter anderem auch die Lohnsteuerhilfe. 

Schwerbehinderung, Leiharbeit, bezahlbare Mieten – das alles sind ganz andere Themen als bei der Gründung des Kreisverbands vor 70 Jahren. 
Andritschke: Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der VdK aus der Not heraus entstanden, weil es damals viele Rechtsunsicherheiten gab. Doch auch 1947 standen schon sozial schwache Menschen im Mittelpunkt der Arbeit.
Peterke: Dabei ging es beispielsweise um die Zahlung von Witwenrenten und um die Anerkennung von Kriegsbeschädigungen. Viele Menschen konnten damals ihren Beruf wegen einer Verletzung nicht mehr ausüben.

Begonnen hat der Kreisverband in Neuburg mit 30 Mitgliedern, heute sind es mehr als 5000. Wie lief diese Entwicklung ab?
Peterke: So weit reichen unsere Aufzeichnungen nicht zurück. Bekannt ist aber, dass es in 1980er-Jahren einen starken Einbruch gab, als die Kriegsgeneration langsam wegbrach. In der Folge musste sich der VdK umstellen. Die Lösung bestand darin, den Stachel in der Sozialpolitik zu setzen, immer an den Themen dranzubleiben. Ab den 1990ern ging es dadurch wieder bergauf. Im Kreisverband hatten wir beispielsweise Ende 1996 insgesamt 2400 Mitglieder, dann folgte der größte Zuwachs von netto zirka 1500 Leuten. 
Andritschke: Eine gewisse Fluktuation ist natürlich jedes Jahr dabei. Im Vorjahr hatten wir beispielsweise 396 Neumitglieder, durch viele Sterbefälle und einige Austritte beträgt der reine Zuwachs letztlich rund 100 Personen. 

Mal ehrlich: Sind sieben Jahrzehnte VdK eigentlich ein Grund zum Feiern? Immerhin muss etwas schieflaufen, damit der Verband Arbeit hat.
Andritschke: Ich denke, um einen Sozialstaat aufrechtzuerhalten, ist ein ständiges Gegengewicht notwendig. Nur dadurch ist es möglich, ein gewisses Bewusststein aufrechtzuerhalten, ein Gewicht, das sich für die Menschen engagiert. Dass wir weiter für soziale Gerechtigkeit kämpfen, ist daher durchaus ein Grund zum Feiern.

Was erwartet die Besucher am Freitag bei dem Festakt im Neuburger Stadttheater?
Andritschke: Wir haben zwar gesagt, dass die Feier für geladene Gäste ist. Aber natürlich gibt es genügend Kapazität für alle Interessierten. Wir schließen niemanden aus und freuen uns, wenn die Leute einfach kommen.
Peterke: Das Programm gestaltet unter anderem unser VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder, der die Festrede halten wird. Außerdem wird Johannes Hintersberger, Staatssekretär im Sozialministerium, nach Neuburg kommen. Eine gute Zusammenarbeit mit der Politik ist uns weiterhin wichtig. Da ist der VdK ein kritischer, aber verlässlicher Partner, der immer konstruktive Anregungen bringt und sich nicht nur hinstellt und fordert. Ein Beispiel dafür ist das im Januar in Kraft getretene Pflegestärkungsgesetz, das eine Veränderung der Pflegegrade beinhaltet und auch Demenzkranke berücksichtig.

Apropos Forderungen: Haben Sie zum 70. Geburtstag des VdK im Landkreis einen Wunsch an die hiesige Politik?
Peterke: Eigentlich nicht, wir arbeiten sehr gut mit den Behörden und den Gemeinden hier zusammen. Unsere Forderungen richten sich vielmehr an die Bundespolitik. Da müsste etwas passieren, ein Umdenken. Die Arbeitslosigkeit ist zwar niedrig, aber wenn man sieht, in welchen Arbeitsverhältnissen die Leute stehen, wundert man sich. Das wird leider oft übersehen. Da müssen wir ansetzen und uns weiterhin für die Schwächeren in der Gesellschaft einsetzen.
Andritschke: Gerade auf lokaler Ebene klappt das oftmals besser – manchmal auch mit unbürokratischen und kurzfristigen Lösungen.

Wo sehen Sie den VdK im Landkreis in weiteren 70 Jahren?
Andritschke: Auch dann wird es noch Arbeit geben. Ein Schwerpunkt wird wohl die Technisierung werden. Ich weiß nicht, wo der Weg hinführt. Die zunehmende Rationalisierung in den Betrieben bereitet mit aber große Sorgen. Die Vereinbarkeit von Fortschritt und Menschlichkeit muss im Vordergrund stehen.

Herr Peterke, Anfang des nächsten Jahres stehen im Kreisvorstand Wahlen an. Treten Sie erneut an?
Peterke: Wir müssen erst mal sehen, ob weitere Vorschläge kommen, und werden uns auch innerhalb des Kreisvorstands besprechen. Mir macht die Arbeit aber Spaß, ich glaube, wir haben viel bewegt. Daher tendiere ich dazu, weiterzumachen – wenn es gewünscht wird. Das liegt aber nicht in meiner Entscheidungsgewalt. 

Das Gespräch führte Stefan Janda.

 

Der Verband

Der heutige VdK-Kreisverband Neuburg-Schrobenhausen ist am 4. Juni 1947 in Neuburg gegründet worden. Dieses Jubiläum feiert der heute rund 5100 Mitglieder zählende Sozialverband am Freitag mit einem Festakt im Neuburger Stadttheater. Los geht es um 18 Uhr. Heute zählt der VdK im Landkreis rund 5100 Mitglieder in zwölf Ortsverbänden. In den beiden Kreisgeschäftsstellen im Neuburger Brüdergarten und in der Regensburger Straße in Schrobenhausen finden pro Jahr zirka 2000 Beratungen statt – eine seit Jahren konstante Zahl. An der Spitze des VdK-Kreisverbands steht seit 2016 der Schrobenhausener Bernhard Peterke (62) als kommissarischer Vorsitzender, zuvor war er stellvertretender Vorsitzender. Die Geschäftsstelle führt die Neuburgerin Sandra Andritschke (48), die seit elf Jahren beim Sozialverband arbeitet.