Neuburg
Wie weit gehen Eltern für die Schulkarriere ihrer Kinder?

Mit dem Stück "Frau Müller muss weg" gelingt dem Euro-Studio Landgraf eine unterhaltsame Vorstellung im Stadttheater

25.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:16 Uhr

Lehrerin Sabine Müller (Claudia Rieschel, r.) erklärt Marina und Patrick Jeskow (Katrin Filzen, Thomas Martin), dass deren Sohn Lukas der größte Störenfried in der Klasse ist. - Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Die Nerven von fünf Elternteilen, darunter ein Ehepaar, liegen blank. Die Noten ihrer Kinder sind schlechter geworden, der Übertritt scheint gefährdet. Als Ursache haben sie die Lehrerin ausgemacht. "Frau Müller muss weg", lautet der Titel der Komödie von Lutz Hübner, mit der das Euro-Studio Landgraf überengagierten Eltern den Spiegel vorhält. Und das höchst unterhaltsam für das Publikum im ausverkauften Neuburger Stadttheater.

Verwaltungsbeamtin Jessica Höfel (zielstrebig bis skrupellos: Andrea Lüdke) übernimmt als Elternsprecherin die Aufgabe, Lehrerin Sabine Müller zu informieren, dass die Eltern das Vertrauen in deren Kompetenz verloren hätten, und ihr nahezulegen, sie solle die Klasse abgeben. Es könne zwar noch über einzelne Punkte geredet werden, doch "das ändert nichts". Emotionen sollen draußen bleiben, haben die fünf im Vorfeld vereinbart. Claudia Rieschel gelingt es großartig, die zwischen eigenen Emotionen, zwischen Zuneigung zu den Kindern und Aggressionen gegenüber den Eltern schwankende Lehrerin zu verkörpern, die weitgehend Countenance bewahrt und am Ende gewinnt, indem sie einzelne Eltern ins Gespräch über ihr Kind zieht. Was Erstaunliches zum Vorschein bringt über die ach so lieben Kleinen, die Schule schwänzen, Entschuldigungen fälschen, schlägern, im Unterricht Bravo lesen und Nägel feilen, herumkaspern oder träumen. Und über die Eltern, die Hausaufgaben anstelle der Kinder erledigen, ein Verhältnis untereinander hatten oder akut in einer Ehekrise stecken. Mitten aus dem Leben gegriffen wirken die Szenen einer Ehe, wenn Marina Jeskow (Katrin Filzen) und Patrick Jeskow (Thomas Martin) aufeinander losgehen.

"Wenn Sie die Hausaufgaben Ihrer Tochter erledigen, sollten Sie wenigstens dafür sorgen, dass sie in der Nähe ist", punktet Müller gegenüber Wolf Heider (Wolfgang Seidenberg), entlockt Katja Grabowski (Iris Boss), dass es deren Sohn Fritz gut ginge in der Schule und klärt das Ehepaar Jeswok (Katrin Filzen, Thomas Martin) über das ADHS-Syndrom ihres Sohnes Lukas auf. So kommt Bewegung in die Geschichte. Plötzlich gehen die Eltern aufeinander los, wechselnde Koalitionen werden gegründet und lösen sich so schnell wieder auf, wie sie entstanden sind. Wessis gegen Ossis - die Geschichte spielt an einer Grundschule in Dresden - die Moralapostel Hausfrau und Arbeitsloser gegen pragmatisch denkende Berufstätige, Eltern schwacher Schüler gegen die Mutter des Klassenprimus. Die hat von Anfang an eine Sonderposition. "Ich bin solidarisch", hat Katja Grabowski erklärt und die Unterschriftenliste "Frau Müller muss weg" mitunterschrieben, obwohl ihr Sohn Fritz beste Noten hat und sie persönlich kein Interesse daran hat, die Lehrerin loszuwerden.

Ein Klassenzimmer reicht als Bühnenbild für die Inszenierung von Kay Neumann, die zwischen ernstem Schauspiel und flapsiger Komödie schwankt, sich mit grandioser Finesse auf einem Minenfeld bewegt, das zwar überspitzt erscheinen mag, aber mit Sicherheit einen wahren Kern hat. Ausgezeichnet die Schauspieler, die die Charaktere ihrer Rollen nuancenreich herausarbeiten, so dass Klischees nicht im Vordergrund stehen, obwohl sie natürlich latent vorhanden sind. Sogar die lange besonnene - weil zunächst nicht selbst betroffene - Katja Grabowski wird zur Furie, als herauskommt, dass ihr Sohn Fritz Ziel von Lukas €˜ Gewaltattacken ist. Bleiben Hoffnung und Trost, dass es solche Eltern sicher gibt, das Gros - im Stück verkörpert von der Mehrzahl der leergebliebenen Stühle - aber immer noch vernünftig ist.