Neuburg
Spielfreude im Obdachlosenmilieu

Kräftiger Applaus für "Die Legende vom Heiligen Trinker" im Neuburger Stadttheater

07.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:57 Uhr

Auch eine Möglichkeit, sein Geld durchzubringen: Andreas, der heilige Trinker (hier von Wolfgang Seidenberg gespielt) hat seine EX-Gelibte Karoline (Lisa Wildmann) wieder getroffen und die Nacht mit ihr verbracht. - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Er ist "ein Mann von Ehre, nur ohne Adresse". Die Brücken der Seine sind das Zuhause von Andreas Kartak, dem Protagonisten in Joseph Roths Novelle "Die Legende vom Heiligen Trinker". Den gibt es in der Bühnenadaption von Silvia Armbruster gleich in dreifacher Ausführung.

Wolfgang Seidenberg, Ernst Konarek und Lisa Wildmann schlüpfen mal gleichzeitig, mal nacheinander in die Rolle des alten Obdachlosen, dem plötzlich jede Menge Wunder geschehen, nachdem ihm ein gut gekleideter Mann unverhofft 200 Franc geschenkt hat. Welch ein Reichtum im Paris des Jahres 1934! Und keine Frage für den Heiligen Trinker, dass er in ein Restaurant geht und natürlich auch einen hebt. Ob er wirklich vor hat, die Schulden, oder wenigstens einen Teil, bei der kleinen Heiligen Therese von Lisieux in der Kirche St. Marie de Batignolles abzugelten? Sie sei es gewesen, hat der Spender erzählt, die ihn zum Glauben bekehrt habe, und daher solle Andreas ihr das Geld zurückzahlen, wenn er schon kein Geschenk von ihm annehmen wolle. Zunächst aber geht ein erstaunlicher Wandel in Andreas vor. Mit dem Geld steigt nicht nur sein (Selbst)bewusstsein, sondern auch sein Körpergefühl. Plötzlich merkt er, wie verwahrlost er ist, lässt sich zum Waschen überreden, geht zum Friseur. Natürlich findet er immer einen Grund zum Trinken. Das Geld geht auf wundersame Weise nie aus.

Was erzählt ziemlich trostlos klingt, mutiert in Silvia Armbrusters packender und stringenter Inszenierung zum Charakterstück mit komödiantischen Zügen, lässt die Zuschauer mit Andreas mitfühlen oder über Slapsticks der drei Clochards lachen, die allein schon aufgrund der Größenunterschiede in ihren altmodischen, viel zu weiten Hosen samt Hosenträgern eine witzige Figur machen. Dieses Obdachlosenmilieu stößt nicht ab, es weckt Sympathie. Den drei Schauspielern fordert der schnelle Rollenwechsel samt Kostümtausch, der sich teils hinter der semidurchsichtigen Stoffwand, teils direkt auf der Bühne vollzieht, einiges ab. Hochkonzentriert, versiert und mit großer Spielfreude werfen sie sich die Bälle zu, wechseln mit den Rollen die Klamotten und mitunter auch das Geschlecht. Urkomisch die Szene mit der zierlichen Lisa Wildmann als Andreas, der der einen guten Kopf größeren Lederwarenverkäuferin (Wolfgang Seidenberg) unter den Rock schaut, als die auf die Leiter steigt. Oder Ernst Konarek als Lippenstift auflegende Gattin des reichen Amerikaners, der Andreas als Möbelpacker für seinen Umzug engagiert hat.

Per Videoeinspielung schaltet sich mehrfach die Kleine Therese (Lieselotte Armbruster) ein und ruft nach ihrem Vater, fragt warum er nicht gekommen sei. Schließlich schafft es Andreas in die Kapelle - allerdings nicht mehr auf eigenen Füßen, denn Erlösung für Trinker bietet nur der Tod. Und so endet das Stück wie es begonnen hat - das Ensemble zieht als Dreimannkapelle mit Posaune, Melodica und Kochtopf durch das - leider nicht ausverkaufte - Parkett wieder hinaus und wird vom Publikum mit kräftigem Applaus belohnt.