Neuburg
Sex, Lügen und Schuldscheine

Verfahren gegen 35-Jährige wegen Erpressung endet mit Freispruch

23.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

Neuburg (DK) Hat die Prostituierte Jana H. (Namen geändert) ihren Freier um mehrere zehntausend Euro erpresst und letztlich in den Selbstmord getrieben? Das Neuburger Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Christian Schilcher sprach gestern die 35-Jährige aus dem östlichen Landkreis frei.

Im Zweifel für die Angeklagte, lautete das Urteil. „Wir stochern hier im Nebel herum“, resümierte Richter Schilcher in seiner Begründung. Viele Fragen blieben offen.

Immerhin eines ist gewiss: Manfred S. führte jahrelang hinter einer Fassade als zuverlässiger Familienvater ein ausschweifendes Doppelleben rund um käufliche Sex-Treffen, Swingerclub-Besuche und Internet-Dating-Portale. Als das Lügengebilde in sich zusammenfiel, nahm er sich das Leben. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Prostituierte Jana H. (wir berichteten). Um sich Urlaube in ihrer rumänischen Heimat leisten zu können, bot sie sich im Internet an. Es meldete sich ein Mann mit dem Pseudonym „Bärchen“. Regelmäßig verabredete sich der Nürnberger Techniker mit der Frau – nicht die einzige Geliebte – zu Schäferstündchen in Telefonhäuschen. Damit die damals 28-Jährige keine anderen Freier annahm, versorgte Manfred S. sie mit Geld für Miete, Unterhalt, Abtreibungen.

Hier nun zieht in der Geschichte der Nebel auf. Hat die Prostituierte ihrem Freier gedroht, seine Seitensprünge bei seiner Familie auffliegen zu lassen? Das jedenfalls steht schwarz auf weiß auf sogenannten „Schuldeingeständnissen“, in der Jana S. in kompliziertem Bürokratendeutsch und mit Unterschrift zugibt, Manfred S. erpresst zu haben, zusammen mit Quittungen über den Erhalt von Geldbeträgen – insgesamt fast 200 000 Euro. „Hiermit bestätige ich, Jana H., dass ich durch Androhung der Offenlegung einer Schwangerschaft bei der Ehefrau durch SMS oder Anruf Manfred S. erpresst habe“, zitierte der Richter aus einem dieser „Schuldscheine“. Zwei davon wurden sogar notariell beglaubigt. „Warum haben Sie das unterschrieben“, fragte Richter Schilcher die Angeklagte. „Er hat mir gedroht. Knast, Pfändung, oder dass ein Türke vorbeikommt und das Geld holt“, antwortete die Arbeitslose. Sie habe keine Ahnung gehabt, was sie da eigentlich unterschrieben hatte. Der Notar, bei dem die Vertragsunterzeichnung stattfand, konnte wegen seiner Verschwiegenheitspflicht nicht vor Gericht gehört werden.

Blieben noch die Aussagen der Ehefrau und der Tochter. Sie hatten nichts geahnt, bis eines abends eine Fremde an der Tür klingelte und in gebrochenem Deutsch den Fahrzeugbrief für ein Auto einforderte – Jana H. Der Familienvater war nicht zu Hause. Ans Handy ging er nicht. Eine SMS blieb unbeantwortet. Für immer. Manfred S. hatte sich umgebracht. In seinem Wagen fand man die „Schuldscheine“. Er selbst hatte offenbar über 100 000 Euro Schulden bei Familienmitgliedern angehäuft, Lebensversicherungen verkauft, Bausparverträge aufgestockt. Alles weg.

„Wir können nicht rekonstruieren, wo das Geld hingeflossen ist“, sagte der Richter. Es blieben zu viele Zweifel an der Schuld der Angeklagten, waren sich Staatsanwalt Sebastian Hirschberger und Verteidiger Jörg Gragert einig. Beide beantragten Freispruch. Das Schöffengericht folgte dieser Argumentation.