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"Im Spannungsfeld zwischen Klassik und Jazz"

02.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:45 Uhr

"Perspectives of Perception" lautet der Titel des Stückes, das der Komponist Markus Stockhausen eigens für das erste Neuburger Kammermusikfestival verfasst hat. Das Werk lässt Platz für freie Interpretationen der Musiker, die weder zeitlich noch inhaltlich begrenzt sind. Ich wollte den klassischen Spielern Freiräume schaffen, die meist zu 99 Prozent notierte Sachen spielen", erklärt Stockhausen. - Foto: Gerhard Richter

Neuburg (DK) Komponist Markus Stockhausen spricht im Interview über das Werk, das er eigens für das Neuburger Kammermusikfestival geschrieben hat.

Herr Stockhausen, wie würden Sie Ihre Komposition "Perspectives of Perception", die Sie eigens für das Neuburger Kammermusikfestival geschaffen haben, beschreiben?

Markus Stockhausen: Gehört habe ich es ja selbst noch nicht, nur zu Papier gebracht. Das Genre ist wahrscheinlich am besten mit freier oder zeitgenössischer Musik zu beschreiben. Zur groben Orientierung: Es wird zehn bis 15 Minuten dauern und ich habe etwa die Hälfte komponiert, dazwischen gibt es Freiräume für die Spieler. Darin können die Musiker improvisieren - auf der Basis von Vorschlägen. Die freien Passagen können zu den komponierten Teilen hinführen aber auch davon wegleiten. Auch die Dauer dieser Improvisationen ist flexibel.

 

Das heißt, Sie wissen selbst noch nicht, was Sie erwartet?

Stockhausen: Genau. Mein Impuls war, eine Brücke zu schlagen zwischen der klassischen Interpretation und der freien Improvisation. Ich wollte das Gefühl transportieren, wie man mit musikalischen Materialien umgeht, wenn keine feste Vorgabe vorhanden ist.

 

Auch eine Herausforderung für die Musiker . . .

Stockhausen: Ja. Ich wollte den klassischen Musikern, die meist zu 99 Prozent notierte Sachen spielen, aber ja selbst oft sehr kreative Menschen sind, Räume öffnen. Ich habe versucht, zu ermöglichen, dass sie ihre eigene Fantasie, ihre Spielfertigkeit und ihre Virtuosität ausdrücken können.

 

Daher auch der Name "Perspectives of Perception", übersetzt "Perspektiven der Wahrnehmung"?

Stockhausen: Jeder Spieler hat eine unterschiedliche Wahrnehmung von dem, was geschieht. Normalerweise müssen sie sich aber dem notierten Text unterordnen. Diese Freiräume geben aber jedem einen anderen Blickwinkel und die Möglichkeit, etwas Persönliches mit einzubringen. Das wollte ich mit diesem Titel ausdrücken, die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung. Und das trifft ganz nebenbei auch auf die Zuhörer zu. Ein Stück wird von jedem anders gehört und erlebt.

 

Wie entstand die Idee, ein Stück zu verfassen, das nicht 100 Prozent notiert auf dem Papier steht, sondern Freiräume lässt?

Stockhausen: Die ist im Laufe der Zeit gereift. Ich habe bemerkt, dass ich keine Lust hatte, ein ganz ausnotiertes Stück zu schaffen. Die gibt es zuhauf. Diese Art zu arbeiten ist zu meiner Spezialität geworden, zu dem, was mich ausmacht. Ich habe in den letzten 15 Jahren viel dieser Art komponiert. Aber dieses Stück ist dennoch etwas Besonderes, denn sonst haben meist andere Jazzmusiker oder ich improvisiert, nicht die klassischen Interpreten.

 

Das ist ja auch ein großer Vertrauensvorschuss. In welcher Besetzung werden die denn Ihr Werk präsentieren?

Stockhausen: Ich habe die Komposition auf Anfrage für ein klassisches Oktett verfasst, also zwei Geigen, Bratsche, Cello, Kontrabass, Horn, Flöte und Fagott.

 

Wann entstand dieses Werk für das Neuburger Kammermusikfestival?

Stockhausen: Das Stück entstand schneller als gedacht Anfang Februar. Das Ganze hat etwa zehn Tage gedauert, zuerst dachte ich, ich würde drei Wochen brauchen. Aber ich hatte mir schon lange vorher einige Notizen gemacht.

 

Und jetzt wird die Komposition am 10. März das erste Mal zu hören sein. Was bedeutet das Ihnen als Komponist - zumal Sie ja so viel Verantwortung an die Musiker übertragen. . .

Stockhausen: Das ist spannend. Es ist zwar nicht die erste Uraufführung für mich, und man hofft jedes Mal, dass das Stück dann öfter aufgeführt wird, also zu leben beginnt. In der neuen Musik ist es leider oft so, dass Werke nur einmal aufgeführt werden, weil alle immer den Hype von Uraufführungen wollen. Mit einigen meiner Kompositionen ist es aber gelungen, die habe ich 30- oder 40-mal aufgeführt. In Neuburg wird ja der Bayerische Rundfunk mitschneiden, dann haben wir eine Aufnahme, die ich verwenden kann. Wir werden sehen.

 

Die Veranstalter des Festivals haben erklärt, dass sie mit dieser Veranstaltung Brücken schlagen wollen - zwischen Genres und Stilrichtungen, aber auch zwischen Musikern und Zuhörern. Das entspricht ja auch ihrem schöpferischen Ansatz, oder? Neue Verbindungen zu schaffen?

Stockhausen: Ja, ich freue mich, dass die Organisatoren das Crossover von klassischer Aufführungsweise und Improvisationen möglich machen. Mein Name steht in den letzten Jahrzehnten ja auch dafür, dass ich ein Grenzgänger bin. In vielen Dingen war ich Vorreiter.

 

Stichwort Genregrenzen überschreiten: Sie werden ja noch bei einem zweiten Auftritt zu hören sein, am Samstagabend als Trompeter des Duos Inside Out. Was hat das mit Ihrer Komposition zu tun?

Stockhausen: Diese Aufführung wird ein Pendant zu "Perspectives of Perception" sein, eine Gegenüberstellung. Der Geist der beiden Aufführungssituationen ist ähnlich. Den will ich transportieren, nicht unbedingt die Stilistik oder die musikalische Sprache.

 

Wie würden Sie dann den Unterschied der beiden Darbietungen beschreiben?

Stockhausen: Die eine ist eher zeitgenössisch-klassisch, die andere bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Klassik und Jazz. Beide auch mit ganz freien Elementen, aber die Gewichtung ist anders. Aber ich glaube, man wird eine Brücke empfinden können von meiner Komposition zu meiner Spielweise. Das wird hoffentlich für die Menschen interessant, zu sehen, wie am Nachmittag mein Konzept als Komponist funktioniert und mich dann abends als Spieler zu erleben. Ich glaube, das ist ein schöner thematischer Bogen, den wir da aufspannen.

 

Sie stehen dann am Samstagabend in Neuburg selbst auf der Bühne. Freuen Sie sich darauf genauso wie auf die Uraufführung?

Stockhausen: Ja natürlich. Das ist eine schöne Gelegenheit, vor allem zusammen mit Florian Weber. Er ist in meinen Augen einer der weltbesten Jazzpianisten, ein unglaublicher Musiker. Jedes Konzert mit ihm ist ein Abenteuer, und das wird sicher auch in Neuburg spannend.

 

Das Interview führte

Sophie Schmidt.

 

 

ZUR PERSON

Markus Stockhausen (60), Sohn des bekannten Komponisten Karlheinz Stockhausen, ist Trompeter und Komponist. Er studierte an der Hochschule für Musik Köln klassische und Jazztrompete, ehe er in Ensembles mit seinem Vater auftrat. Heute steht er zum Beispiel als Teil der Duos Moving Sounds und Inside Out auf der Bühne. Bekannt wurde Stockhausen unter anderem mit seinem Werk "Abendglühen", das 2007 beim Deutschen Evangelischen Kirchentag mit mehr als 1500 Blechbläsern aufgeführt wurde. Stockhausen gewann den WDR-Jazzpreis als bester Improvisator, die "Silberne Stimmgabel € des Landesmusikrates NRW und den JTI Jazz Award.