Neuburg
"Luther war sicher kein Heiliger"

Der evangelische Pfarrer Steffen Schiller setzt auf eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Reformation

03.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:50 Uhr

Der Pfarrer und der Reformator: Steffen Schiller freut sich auf das anstehende Lutherjahr in Neuburg. - Foto: Janda

Neuburg (DK) Ein Held ist Martin Luther für Steffen Schiller sicher nicht. Und auch kein Heiliger. Der evangelische Pfarrer aus Neuburg spricht sich im Jubiläumsjahr der Reformation daher für einen kritischen Blick auf den Theologen aus. Zugleich ist der Seelsorger ein Anhänger einer versöhnten Verschiedenheit.

Der große Reformator ist in Neuburg derzeit unübersehbar. Ein meterhohes Banner weist am Turm der Christuskirche in kräftigem Rot auf den Beginn der Reformation vor genau einem halben Jahrtausend hin. Eine geniale Marketingstrategie der evangelischen Kirchengemeinde? "Eher nicht", sagt Pfarrer Steffen Schiller und lacht. Das Plakat ist aus seiner Sicht vielmehr ein Hingucker, der die Leute dazu anregen soll, sich wieder mehr mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Werbung im eigentlichen Sinn habe die Kirche nicht nötig, bekräftigt er. "Denn Glaube ist kein Produkt. Er ist nicht bestellbar. Und ich will ihn auch nicht verkaufen." Der 55-jährige Seelsorger sieht das Wirken der Kirchen - sowohl der evangelischen als auch der katholischen - in der heutigen Zeit eher als Chance, "etwas zu bieten, was ihn der Gesellschaft zunehmend verloren geht". Schiller meint damit Ruhe, Besinnung, innere Einkehr - kurzum: viel mehr als simples Konsumdenken.

Die Lehren Martin Luthers gehen seiner Meinung 500 Jahre nach dessen Wirken noch immer genau in diese Richtung. Während die Menschen damals die reine Leistung in der Gesellschaft als entscheidend für den späteren Seelenfrieden erachteten, stellte der Theologe den Ansatz der göttlichen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. "Du bist geschätzt und akzeptiert, so wie du bist", fasst Schiller diesen Gedanken zusammen, der die katholische Ablasslehre ad absurdum führte. Und der im Lutherjahr wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken wird.

In Neuburg dürfte das nach Ansicht des evangelischen Pfarrers bestens gelingen. Denn anders als in vielen Gegenden des katholisch geprägten Freistaats, wo das Wirken des Reformators und der Protestantismus selbst allenfalls Nebenrollen spielen, hat Schiller in seiner Gemeinde keine Befürchtungen, zum Statisten degradiert zu werden. "Wir werden hier als absolut gleichwertig gesehen", ist seine Erfahrung. Das liegt jedoch weniger an den Ursprüngen der evangelischen Kirche in der heutigen Kreisstadt, wie er findet. "Denn mit der Herrlichkeit war damals zügig Schluss", erinnert Schiller an die Reformation Neuburgs unter Pfalzgraf Ottheinrich im Jahr 1542 und die Rekatholisierung durch Wolfgang Wilhelm vor mittlerweile 400 Jahren. Entwicklungen, die sich noch heute in der Aufteilung der Konfessionen zeigen - mit rund 3900 Protestanten allein in der Kirchengemeinde Christuskirche sind diese nach wie vor klar in der Minderheit. "Doch wir profitieren auch von der katholischen Prägung", findet Schiller, dessen Frau gläubige Katholikin ist. Anders als an seinen früheren Stationen als Seelsorger im mittelfränkischen Dekanat Ansbach würden die Neuburger die Stellung eines Pfarrers, selbst eines evangelischen, sehr hoch einschätzen. "Gleichzeitig wird hier die evangelische Glanzzeit unter Ottheinrich gefeiert, das hat nichts Sonderbares an sich."

Dass er und sein Kollege Jürgen Bogenreuther im Gegensatz zu manchen katholischen Geistlichen vergleichsweise wenig Gläubige auf doch recht großer Fläche betreuen, schreckt Schiller nicht ab. "Natürlich ist diese Situation schwierig", weiß er und verweist auf manch kleinere Dörfer, in denen es gar nur einen oder zwei Protestanten gibt. Mit regelmäßigen Gottesdiensten, auch in katholischen Kirchen, versuchen die beiden dennoch, in der Fläche Präsenz zu zeigen. "Wir können nur Angebote machen und uns bemühen." Dennoch läuft auch in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde nicht immer alles nach Maß. Mit dem steten Wachstum der Bevölkerung nimmt auch die Zahl der Protestanten langsam zu. "Aber natürlich gibt es auch bei uns Austritte - zwar nicht dramatisch viele, doch jeder ist einer zu viel."

Das Bestreben, den Gläubigen zur Seite zu stehen, verbindet Schiller mit seinen katholischen Kollegen in der Region. Nach zehn Jahren in Neuburg, davon mittlerweile fünf als verantwortlicher Pfarrer der Christuskirche, schätzt der gebürtige Ulmer das Miteinander mit den Vertretern der anderen Konfession. Vor allem zu Neuburgs Stadtpfarrer Herbert Kohler hat Schiller ein prächtiges Verhältnis. "Er ist eigentlich nicht nur mein Kollege, sondern mittlerweile auch ein Freund." Trennendes oder gar Unüberbrückbares kann der dreifache Familienvater in der Zusammenarbeit der beiden Konfessionen längst nicht mehr ausmachen. Stattdessen gefällt Schiller der Ansatz einer versöhnten Verschiedenheit, der längst als Modell für moderne Ökumene gilt. "Man kann 500 Jahre Kirchengeschichte nicht einfach zurückdrehen, doch wir können uns gegenseitig bereichern", findet der Sohn eines katholischen Vaters und einer evangelischen Mutter.

Feiern will Schiller das Lutherjahr allerdings nicht. Einfach, weil es in seinen Augen keinen Grund dazu gibt. Immerhin hatte die Reformation die Spaltung der Kirche zur Folge. "Wir wollen dieses Jubiläum daher begehen und an die Geschichte erinnern." Dabei liegt dem Neuburger Seelsorger eine ehrliche Auseinandersetzung mit Luther und dessen Wirken am Herzen - mit allen Licht- und Schattenseiten. "Klar, Luther war ein Kind seiner Zeit und sicher kein Heiliger", betont er. Und: "Er hat viel gesagt, dem man entschieden widersprechen muss." Damit meint der Pfarrer unter anderem die antisemitischen Äußerungen des großen Reformators. Umso wichtiger ist es aus seiner Sicht, diese Details in den kommenden Monaten nicht auszusparen. Und dazu soll eben auch das meterhohe Banner mit dem Antlitz Luthers beitragen. Schon jetzt sind die Rückmeldungen auf die Plakataktion am Kirchturm zahlreich. "Und sie sind alle positiv", freut sich Steffen Schiller.