Neuburg
Erinnerungen an einen schwierigen Schüler

Ein Schuljahr lang besuchte Ludwig Thoma das Studienseminar in Neuburg

20.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

Franz Hofmeier mit einer Statue Ludwig Thomas: Der langjährige Schulleiter des Neuburger Descartes-Gymnasiums beschreibt die Jugendzeit des Schriftstellers, die ihn auch nach Neuburg führte. - Foto: privat

Neuburg (DK) Vor 150 Jahren, am 21. Januar 1867, wurde Ludwig Thoma in Oberammergau geboren. Als er 1876 in das Neuburger Studienseminar einpassierte, war er noch nicht zehn Jahre alt. Für unsere Zeitung hat der ehemalige Schulleiter des Descartes-Gymnasiums in alten Aufzeichnungen geblättert.

In Vorderriß, wo der gurgelnde Rißbach in die schäumende Isar mündet, war der Vater königlicher Oberförster gewesen; zudem betrieben die Eltern, Max und Katharina Thoma, im Forsthaus eine bescheidene Gastwirtschaft. Unter den mächtig aufragenden Bergen des Karwendels beobachtete der kleine Ludwig gerne, wie die Flößer ihrer gefährlichen Arbeit nachgingen. Doch die unbeschwerten Tage, die er als Kind erlebte, waren schon vor seiner Neuburger Zeit Vergangenheit.

Auf eigenen Wunsch wurde der Vater 1873 als Parkwächter nach Forstenried versetzt, was einen beruflichen Aufstieg bedeutete. Völlig überraschend erlag er schon ein Jahr später den Folgen eines Herzinfarktes. Das Elend im Hause Thoma wird ansatzweise begreifbar, wenn man bedenkt, dass Ludwigs Mutter zu diesem Zeitpunkt nach der Geburt ihres siebten Kindes lebensbedrohlich erkrankt war. Die Haushälterin Viktoria Pröbstl, der Ludwig Thoma sein ganzes Leben lang herzlich verbunden blieb, kümmerte sich um die Kinder, so gut sie konnte. Um die größte Not zu lindern, nahm ein Onkel aus Landstuhl, in der Pfalz gelegen, den kleinen Ludwig und seine Schwester Luise in Obhut. Dort beginnen auch Ludwig Thomas zwiespältige Erfahrungen mit Lateinschulen. Im Pfälzischen waren die Herren Professoren mit dem Lernfortschritt insgesamt zufrieden, stellten aber fest, dass Ludwig bei "größerem Fleiß mehr zu leisten im Stande wäre." Auch wurde missbilligt, dass er zu "Muthwillen" neige.

Nachdem die Mutter genesen war, pachtete sie den Gasthof "Zur Kampenwand" in Prien. Stark war ihr Bestreben, den begabten Sohn auf einen Weg zu bringen, der in den geistlichen Stand mündet. Das Neuburger Studienseminar hatte schon damals einen guten Ruf - weit über die Donauauen hinaus. Zudem wurden dort Freiplätze vergeben, was die Mutter hoffen ließ, für Unterkunft und Verpflegung nichts oder nur wenig zahlen zu müssen. Nach einem förmlichen Antrag wurde der Halbwaise in das Internat und in die zweite Lateinklasse aufgenommen. Zudem erhielt er einen halben Freiplatz auf Probe. Voraussetzungen für dauerhafte Vergünstigungen waren hervorragende Leistungen und vorbildliches Betragen - an beidem haperte es, wie sich bald herausstellen sollte. Als völlig unrealistisch erwies sich die Vorstellung der Mutter, ihr Ludwig könne eines Tages nach den höheren Weihen einen schwarzen Talar tragen.

Bis heute wird kolportiert, Ludwig Thoma sei ein rundum miserabler Schüler gewesen. Da ist eine differenzierende Beurteilung angebracht! Wie in den Neuburger Zensurbögen nachzulesen ist, wurde dem zuweilen renitenten Zögling in Deutsch durchgehend die Note "gut" zuerkannt. In Mathematik und Latein konnte er den hohen Anforderungen, die damals gestellt wurden, jedoch nicht genügen. Das lag aber nicht an einem Mangel an Begabung, sondern an seinem "unüberwindlichen Unfleiß". Getadelt wurde er als "schlampiger Schüler, der seine Hefte und Bücher unreinlich führt." Aber man erkannte sehr wohl das Talent und seine sprachliche "Urbegabung". Im Weihnachtszeugnis 1876 heißt es: "Sein ausgeprägter Kunstsinn (Kunstkompetenz würde man heute sagen, d. A.) verdient ganz entschiedene Sorge." Dennoch schrieb im Juni 1877 der Direktor des Studienseminars Leonhard Hohenbleicher an Katharina Thoma, dass er ihr "keine guten Nachrichten zukommen lassen" könne. Ludwig hatte das Klassenziel nicht erreicht. Das Neuburger Gastspiel war damit beendet.

In Burghausen wiederholte er die zweite Lateinklasse mit Erfolg. Im Jahr darauf ist er als Schüler im altehrwürdigen Wilhelmsgymnasium in München zu finden. Auch dort musste er eine Jahrgangsstufe wiederholen. Das Abitur legte er schließlich 1886 in Landshut ab. Den Augenblick, in dem er das Reifezeugnis ausgehändigt bekam, bezeichnete er als "selige Stunde". Kein Wunder, dass es Ludwig Thoma in späteren Jahren ein höllisches Vergnügen bereitete, über die selbstgefällig und gravitätisch einherstolzierenden Repräsentanten des höheren Schulwesens kübelweise Spott und Hohn zu schütten. Noch heute erfreuen sich Thomas "Lausbubengeschichten" großer Beliebtheit - nicht nur bei denjenigen, die in der Schule wenig Freudvolles erfuhren.