Neuburg
Jungs nicht drosseln

Vortrag des Gesundheitsamtes stößt bei Fachkräften auf große Resonanz

22.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:10 Uhr

Große Resonanz auf den Fachvortrag: Jugendamtsleiter Sebastian Karl (v.l.), Referent Peter Karl, Organisatorin Johanna Ehm, Schulsozialarbeiter Markus Bach und Johannes Donhauser vom Gesundheitsamt. - Foto: Katharina Huber

Neuburg (DK) Rund 150 Lehrer, Erzieher und Fachkräfte aus dem medizinischen und pädagogischen Bereich aus dem ganzen Landkreis strömten vor wenigen Tagen in den großen Sitzungssaal des Landratsamtes, um dem renommierten Jungen- und Männerpädagogen Peter Karl aus Gersthofen zuzuhören. "Gefühlt 80 Prozent aller Störenfriede in Schulen, Kindergärten oder Kitas sind Jungs.

Durch lautes, aggressives Verhalten, Leistungsverweigerung oder Konfrontation geraten sie schnell in den Fokus", so Johanna Ehm, Sozialpädagogin des Gesundheitsamtes am Landratsamt. Für die betroffenen Fachkräfte seien diese Verhaltensweisen oft kräftezehrend und anstrengend. Deshalb wird es für soziale Institutionen immer dringender erforderlich, die geschlechtsspezifische Lebenssituation von Jungs besser zu verstehen, sie zu unterstützen und zu fördern. Aber wie?

Um dieser Frage nachzugehen, organisierte Ehm mit Unterstützung des Caritasverbandes Neuburg-Schrobenhausen - Fachbereich Jugendsozialarbeit und Schulen - einen Fachvortrag für den Landkreis. Die Wahrnehmung der Organisatoren bekräftigte der Leiter des Jugendamtes am Landratsamt, Sebastian Karl, durch regionale Zahlen aus der Jugendhilfe: "Mit 80 Prozent bilden die Jungs in der Jugendhilfe in Neuburg den Löwenanteil." Eine Steilvorlage für den Hauptreferenten und Namensvetter Peter Karl: "Jungs sind verunsichert", erklärt der seit vielen Jahren in der Jungen- und Männerberatung aktive Pädagoge.

Selbst Vater von zwei Söhnen weiß er, dass wir unseren Kindern mit einer stets fürsorglichen Erziehung nichts Gutes tun. Seine langjährigen Beobachtungen von Jungen, vor allem in der Pubertät, bereiten ihm Sorge. Wenn Mütter berichten, dass sie die Hausaufgaben in Latein noch nicht gemacht hätten und ihr Kind schließlich bis in den Ausbildungsbetrieb oder in die Uni begleiten, dann gehe das eindeutig zu weit. "Das Gehirn eines Jungen entwickelt sich nach Nutzung", erklärt er augenzwinkernd. "Wir müssen unseren Jungen wieder mehr zutrauen. Selbstständigkeitserziehung ist das, was im Moment fehlt. Jungs wollen Verantwortung übernehmen, das Gefühl gebraucht zu werden. Dazu müssen wir ihnen wieder mehr Vertrauen und Zutrauen entgegen bringen."

Jungen brauchen mehr Bewegung und körperlichen Ausgleich - mit 20 Prozent mehr Anteil an Muskulatur als Mädchen liegt das in der Natur der Dinge, erklärt Karl, und verweist damit auf eindeutige biologische Unterschiede von Männern und Frauen. Jungs wollen spielerisch raufen, aber wo dürfen sie das denn noch? Jungs sollen raus in den Wald, in die Natur, aber wo sind denn all die anderen Jungs draußen? In Banden könnten so wichtige Entwicklungsaufgaben auf dem Weg zum Mann gemeistert werden: Kräfte messen und richtig dosieren lernen, sich um kleinere oder jüngere Mitglieder sorgen - Sozialverhalten erleben, sich behaupten, oder auch mal zurückstecken. Dabei beugen kleine Verletzung große Verletzungen vor und wären somit nicht zuletzt eine ideale Suchtprophylaxe. Auf Bäume, Klettergerüste oder Zäune zu klettern sei wichtig, um sich selbst zu spüren, zu erfahren, wie weit kann ich gehen? Wann habe ich Angst? Wie gehe ich dann damit um? Dabei brauchen sie Verständnis - nicht nur innerhalb der Gesellschaft-, sondern auch und vor allem - vom eigenen Vater. Für Karl ist klar: Jedes auffällige Verhalten ist ein Schrei nach Liebe und Anerkennung. In unserer schnelllebigen Zeit ein klares Plädoyer: "Wir sollten wieder anfangen, uns an unseren Jungs zu erfreuen, anstatt sie zu drosseln und zu pathologisieren."