Neuburg
Jede vierte Lehrstelle bleibt unbesetzt

Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkerschaft buhlen um Nachwuchskräfte – oft vergeblich

31.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:51 Uhr

23 Asylbewerber nahmen Ende Juli nach dem Berufsintegrationsjahr (BIJ) ihre Zeugnisse entgegen. 13 von ihnen beginnen nun eine Ausbildung. Die Wirtschaft fordert einfachere Regularien - Foto: Belzer

Neuburg (szs/DK) Heute beginnt das neue Ausbildungsjahr, doch viele Betriebe gucken in die Röhre. In den Betrieben im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen sind noch 139 von 550 angebotenen Lehrstellen frei, so die aktuellste Statistik der Arbeitsagentur. Was kann man dagegen tun

Ungefähr jeder vierte Ausbildungsplatz wird heuer wohl unbesetzt bleiben. Nur 55 junge Bewerber haben noch keine Lehrstelle gefunden. „Allerdings werden sich davon erfahrungsgemäß die meisten abmelden, weil sie zum Beispiel auf die Fachoberschule wechseln“, erklärt Peter Kundinger, Pressesprecher der Arbeitsagentur Ingolstadt. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr standen Anfang September 57 Bewerber 132 offenen Stellen gegenüber, 2013 waren es 73 bei 142 Angeboten. Die Lage für die Betriebe bleibt also angespannt.

„Die Ausbildungssituation für Lehrstellensuchende wird immer besser. Auf der anderen Seite versuchen wir mit allen Mitteln, die Stellen zu besetzten“, erklärt Kreishandwerksmeister Hans Mayr. 257 Lehrverhältnisse hat er Stand Ende August auf seiner Liste. „Vielleicht werden es noch 300. Früher hatten wir 400. Das heißt, uns gehen 100 bis 150 pro Jahr ab.“

Keinen einzigen Metzger hat man verpflichten können. Auch bei Zimmerern, Schreinern und Metallbauern sieht es düster aus. Kundinger nennt außerdem Lagerlogistiker, Kaufleute im Einzelhandel, Maurer, Bäcker und Fachverkäufer.

Auch bei der Industrie- und Handelskammer klagt man über den Mangel an Nachwuchskräften. „Vor allem kleine und mittlere Unternehmen müssen um jeden Azubi kämpfen. Aufgrund der guten Konjunktur und des absehbaren Fachkräftemangels bieten sie reichlich Lehrstellen an, sie bekommen aber immer weniger Bewerbungen“, sagt Hartmut Beutler, Vorsitzender des IHK-Gremiums Neuburg-Schrobenhausen. Allerdings gibt es auch positive Zahlen. Insgesamt treten im Landkreis 263 Jugendliche eine Lehre bei IHK-zugehörigen Unternehmen an. Dies ist ein Plus von 6,9 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Damals begannen 246 Jugendliche eine Ausbildung. „Die endgültige Bilanz am Ausbildungsmarkt wird erst zum Jahresende gezogen – nachdem wir 2014 ein Minus von fast fünf Prozent hatten, wäre dies ein willkommener Ausgleich“, kommentiert Beutler die Zahlen. Euphorie sieht aber anders aus: „Es bleibt aber festzuhalten, dass die Betriebe noch viel mehr Lehrstellen besetzen könnten, wenn es genügend Bewerber gäbe“, so der IHK-Gremiumsvorsitzende. Die zahlenmäßig stärksten fünf IHK-Ausbildungsberufe im Landkreis sind Kaufleute für Büromanagement, Industriekaufleute, Industriemechaniker, Bankkaufleute sowie Kaufleute im Einzelhandel. „Besonders groß ist der Azubimangel im Einzelhandel und in der Gastronomie“, so die IHK. Beutler unterstreicht jedoch, dass das Problem quer durch alle Branchen gehe. „Es sind auch noch viele Lehrstellen für Industriemechaniker und Bürokaufleute frei“, so der IHK-Gremiumsvorsitzende.

„Der Mangel an Ausbildungsbewerbern wird für unsere Wirtschaft immer mehr zum Dauerzustand“, beklagt Beutler. „Die fehlenden Azubis von heute sind aber der Fachkräftemangel von morgen. Die Wirtschaft braucht dringend Unterstützung, um die Ausbildung für mehr Jugendliche attraktiv zu machen“, fordert Beutler. Der IHK-Gremiumsvorsitzende führt den Bewerberengpass auf stagnierende Schulabgängerzahlen sowie den Trend zur Akademisierung zurück. „In der Berufsorientierung müssen die hervorragenden Karrierechancen durch eine Ausbildung wieder mehr Stellenwert bekommen, wir brauchen nicht noch mehr Studienabbrecher“, so Beutler. Mit Schulpatenschaften, der Teilnahme an Bildungsmessen oder Ausbildungstagen im Unternehmen können Betriebe den Schülern bei der Berufsorientierung helfen, sagt der IHK-Gremiumsvorsitzende.

Auf der Suche nach Nachwuchs blicken viele Unternehmen zunehmend auf die Asylbewerber. Doch noch immer gibt es bürokratische Stolpersteine. Zwar dürfen Flüchtlinge eine Ausbildung beginnen, doch müssen sie jedes Jahr aufs neue ihre Duldung beantragen. „Das sollte zwar im Regelfall bei einem Azubi kein Problem sein, aber es ist ein zusätzlicher Aufwand für die Betriebe und den Jugendlichen, und man hat immer ein Damoklesschwert darüberhängen“, erklärt Katharina Toparkus, Pressereferentin der IHK. Viele Firmen seien deswegen verunsichert, wünschen Planungssicherheit.

Die Wirtschaft fordert deshalb schon länger das sogenannte „3 plus 2“-Modell, bei dem ein Flüchtling von Anfang an eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis für die dreijährige Ausbildung plus zwei Arbeitsjahre im Betrieb bekommt. „Wir wollen keine Aktenordner füllen, wir wollen Häuser bauen“, bringt es der Kreishandwerksmeister auf den Punkt. „Ich bin dafür, dass wir versuchen, Menschen, die uns nichts Böses wollen und sich integrieren wollen, in den Arbeitsprozess einzubauen“, sagt Mayr.