Neuburg
In zehn Tagen fällt der Vorhang für immer

19.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:45 Uhr

Seine Einsätze an den Projektoren aus den 50er Jahren sind gezählt: Filmvorführer Andreas Braun hängt sehr am Hofgartentheater.

Neuburg (DK) Filmgrößen wie Heinz Rühmann und Lieselotte Pulver sind hier schon abgestiegen, Sturzbäche von Tränen geflossen und unzählige Tüten mit Popcorn in den plüschig roten Stuhlreihen verzehrt worden. Doch in zehn Tagen ist alles vorbei, ist Neuburgs Hofgartentheater, das dem Wiederaufbau des Hotels Rennbahn weichen muss, Vergangenheit.

Von Trauer ist Kinobetreiber Roland Harsch in diesen Tagen, in denen er einen würdigen Abschied von der Neuburger Institution zelebrieren will, allerdings nichts anzumerken. "Im Moment muss so viel organisiert werden, dass für Rührseligkeit keine Zeit bleibt." Ein Pianoabend bei Kerzenschein wird am 29. August die letzte Veranstaltung sein. Danach fällt der Vorhang für immer. Bereits am 1. September findet die Übergabe an den neuen Eigentümer statt. "Bis dahin muss alles raus. Aber wenn das vorbei ist, falle ich bestimmt in ein tiefes Loch", seufzt der 37-Jährige dann doch ein wenig.
 

Schließlich hat das Hofgartenkino seinen Werdegang, sein Leben geprägt. 1990 wurde das Haus durch die Kinobetriebsgesellschaft Augsburg wiedereröffnet. Und einer jener Teenager, die einen Job als Kartenabreißer ergatterten hieß – Roland Harsch. Fünf Jahre später war er bereits Filialleiter in Vollzeit und weitere fünf Jahre später wurde er schließlich Kinobetreiber, nachdem der damalige Betreiber in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt habe.

"Ein Kino wollte ich nie"

"Ich habe mich über Nacht dazu entschlossen, wusste ja, worauf ich mich einlasse", sagt Roland Harsch, der auch kein Hehl daraus macht, worauf es ihm damals ankam: "Ein Kino wollte ich eigentlich nie, aber das Café hat mich schon immer interessiert. Da es das eine ohne das andere nicht gab, hab’ ich eben beides genommen." Das kultige Lokal sei schon bei seiner Wiedereröffnung vor 20 Jahren innovativ gewesen. Seither hat es nichts an Beliebtheit verloren und ist zu einer angesagten Adresse für Kleinkunst und Ausstellungen avanciert.

Mit seinen Programmen und Themenfilmreihen abseits des Mainstream hat Harsch für das Hofgartentheater mehrfach Preise auf Bayernebene eingefahren. Zwischen 25 000 und 30 000 Besucher pro Jahr erlebten hier großes Kino, weitere 100 000 sind es im 2003 eröffneten Kinopalast am Schwalbanger.

Das Hofgartentheater im Herzen der Stadt habe diese individuelle Programmgestaltung möglich gemacht, "künftig werden wir nicht mehr so flexibel sein, die Kreativität wird schon etwas eingeschränkt", erklärt Harsch, der eigentlich Theologe werden wollte, sein Studium dann aber schmiss und sich für das Kino entschied. Wenn er dessen Auflösung abgewickelt hat – das Mobiliar wird größtenteils weiter verkauft, für Nippes gibt es einen Flohmarkt "und einen weiteren Teil werden wir einlagern" – steht im Kinopalast erst einmal die kostspielige Einführung der Digitalisierung in 3D an. Er trägt sich auch mit dem Gedanken an einen Anbau, "dafür wollen wir im nächsten Jahr die Weichen stellen".

Die beliebten Reihen wie Frauenfilmabend oder Seniorenkino bleiben. Auch personell solle es keine Veränderungen geben. "Wir haben ja schon lange gewusst, dass das Ende naht und uns mit Neueinstellungen in letzter Zeit zurückgehalten". Andreas Braun wird als Technischer Leiter von der Pfalzstraße an den Schwalbanger wechseln. Seit elf Jahren ist er jetzt als Filmvorführer tätig. "Dass das Hofgartentheater schließt, tut trotzdem g’scheit weh", sagt er mit wehmütigem Blick.

Wehmütige Erinnerungen

Viele Stammgäste kämen dieser Tage noch einmal vorbei, ließen sich einen letzten Imbiss im Café schmecken, wo an der Wand der Countdown für die Tage des Hofgartentheaters gnadenlos läuft. Auch viele ältere Menschen seien darunter, "die in den beiden Kinosälen ihre erste Liebe trafen, ihren ersten Kuss bekamen oder einfach nur zum allerersten Mal ausgegangen waren", erzählt Harsch. "Alle wollen noch einmal dieses Flair erleben. Das kann man nicht nachbauen."

Denn großes Kino auf zwei Etagen gab es hier über viele Jahrzehnte. Bereits vor 1930 sei das Gebäude ein cineastisches Dorado gewesen. Stummfilme seien hier, begleitet von Livemusik, über die Leinwand geflimmert. Davon zeuge ein Orchestergraben, der bei Renovierungsarbeiten in einem der Säle entdeckt wurde. Unter der Regie der Betreiberfamilie Schreiner sei der ehemalige Ballsaal Mitte der 50er Jahre zu einem Kino mit 500 Sitzplätzen umgebaut worden. Bis Ende der 80er Jahre habe die Familie das Haus geführt. Ihr wichtigster Mann war der inzwischen verstorbene Theaterleiter Horst Kleinert, der diesen Posten fast 40 Jahre mit Herzblut ausübte. "Die Stars, die damals kamen, dachten immer, er sei der Kofferjunge. Aber das hat ihn nie gestört. Für ihn wäre die Schließung ein ganz schlimmer Einschnitt gewesen", erzählt Harsch. Er ist auch Mitbetreiber des Eichstätter Kinos: "Damit gehören wir zu den besten deutschen Häusern und bekommen im September eine Auszeichnung von Kultusminister Michael Naumann." Vielleicht ein kleiner Trost für die "Perle", die Roland Harsch in wenigen Tagen verliert. Sein Blick schweift durch das Kinocafé: "Hoffentlich machen die hier ein schönes Hotel draus. Sonst sind wir umsonst gestorben."