Neuburg
In 2000 Metern Tiefe auf Spurensuche

Manfred Veit tauchte vor 30 Jahren als Offizier nach einem abgestürzten Tornado im Mittelmeer und fand ihn auch

27.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:45 Uhr

Foto: DK

Neuburg (DK) Wenn Flugzeuge am Boden zerschellen oder ins Meer stürzen, erhebt sich die Frage nach dem Warum. Einer, der neun Jahre lang solche Unfälle auf militärischem Sektor untersucht hat, ist der heutige Kreisheimatpfleger Manfred Veit. Einmal leistete er in 2000 Metern Tiefe Detektivarbeit.

Sommer 1985. Zwei Tornados des Marinefliegergeschwaders aus Jagel in Schleswig steuern Sardinien und dort den Stützpunkt Decimomannu an. Einige zig Kilometer vor der Hafenstadt Alghero stürzt einer der beiden Jets ins Meer. Die zweite Maschine kreist ein paarmal über der Stelle, dann setzt der Pilot den Flug notgedrungen fort.

Bei einer sofort eingeleiteten Suchaktion können der Pilot und sein Waffensystemoffizier nur noch tot geborgen werden. Ihre Sicherheitsausrüstung hatte sie an die Wasseroberfläche geschwemmt. Zu diesem Zeitpunkt ist Manfred Veit bei der General Flugsicherheit der Bundeswehr in Köln eingesetzt. Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München ist er als Offizier für die technische Seite zuständig.

Mit einem Boot der italienischen Marine fährt er das Absturzgebiet ab. Der damalige Inspekteur der Luftwaffe, General Eberhard Eimler, hat die Suche nach dem Wrack angeordnet. Doch wer kann auf den Grund der See schauen? Das Institut zur Erforschung der Meere in Toulon zum Beispiel. Dort verfügt man über ein Tauchboot, das bis zu 3000 Meter tief in die Finsternis hinabsteigen kann. Veit wird losgeschickt, hat sogar die Ermächtigung einen Vertrag zu unterzeichnen und wird mit den Franzosen handelseinig. Doch bevor es losgehen kann, kommt erst noch viel Mathematik. Veit wertet den Flugschreiber des zweiten Tornados aus, berechnet Geschwindigkeiten, zieht die geflogenen Kreise und den Neigungswinkel der Maschine ins Kalkül und markiert eine kompliziert errechnete Absturzstelle vor der Küste Sardiniens. "Einen Computer nach heutigen Maßstäben gab es damals noch nicht. Ich habe alles mit dem Taschenrechner gemacht", erinnert er sich.

Im Dezember desselben Jahres ist es dann so weit. Nach einer stürmischen Überfahrt mit einer Barkasse von Alghero zum Forschungsschiff Le Noroit, "ich musste über die Jakobsleiter hochklettern. Die Barkasse ist weggefahren und die See war sehr rau", nimmt das Abenteuer seinen Lauf. Veit ist damals 44 Jahre alt. Die Einweisung der Franzosen ist knapp und salopp. Sie wollen nur wissen, ob der Oberstleutnant aus Köln an Platzangst leidet oder Herzprobleme hat. Beide Male verneint Veit. "Vielleicht bin ich etwas unsensibel, was Angst angeht." Das genügt. Mit einem Navigator und dem Piloten des Tauchbootes macht er sich auf die Suche. "Ich war auf dem Bauch gelegen und hatte nur ein Guckserl vor mir." Neun Stunden und 15 Minuten dauert der erste Tauchgang. "Sauerstoff hätten wir für 14 Tage gehabt. Wenn etwas passiert wäre, hätten uns die Amerikaner retten können. Damit wir bis dahin nicht verhungern, hat man uns Lunchpakete und einen Kasten Elsässer Storchenbier mitgegeben." Veit muss bei dem Gedanken an so viel Savoir-vivre noch heute lachen: "Das wäre in unserem bürokratischen System absolut unmöglich gewesen." Als einmal in 1500 Metern Tiefe die Außenelektronik der Cyanar den Geist aufgibt, bleibt Veit gelassen. "Ich habe nur gemerkt, dass die Franzosen auf einmal sehr schnell gesprochen haben." Das Boot hat Ballast abgeworfen und ist auf dem schnellsten Weg an die Oberfläche zurückgekehrt.

Elf Tauchgänge werden es insgesamt. Das Erste, was die Bootsbesatzung 2000 Meter unter dem Meeresspiegel findet, ist eine riesige amerikanische Mülltonne. Dann entdecken sie Trümmer des Tornado. Veit hat heute noch ein Video davon. Im Hintergrund hört man seine Stimme. Er listet auf, was er sieht: Die Schleudersitzwanne, das linke Panel des vorderen Cockpits, den Zusatztank. "Der Crash Recorder ist nicht dabei", hält er nüchtern fest. Ausgerechnet. Auf den hatte es Veit abgesehen, weil das Gerät Stimmen und Daten parallel aufzeichnet. Das Panel lässt er bergen. Ein Greifarm des Bootes bringt es beim Aufstieg mit nach oben. Veit hat genug gesehen. Er wertet seine Dokumentation aus. "Die Teile waren wie bei einem Absturz an Land verteilt. Und je mehr Trümmer man hat, um so genauer lässt sich rekonstruieren, was passiert ist." Der Oberstleutnant zeichnet minuziös die Bruchverteilung in einer Karte ein. Sieben Stunden hat der elfte Tauchgang gedauert. Das Ergebnis: Ein klares Bild für den Fachmann. Veit versichert glaubhaft, dass er die Absturzursache kennt. Details dazu dürfe er auch heute nicht verraten. Schuldzuweisungen gibt es nicht.

Fast neun Jahre hat er Flugunfälle bei der Bundeswehr untersucht. 31 insgesamt. Es war immer dasselbe. Als beratender Ingenieur bei der General Flugsicherheit war er stets von der detektivischen Herausforderung gefangen. "Das ist aus meinem Kopf nicht mehr rausgegangen." Er wollte die Lösung wissen, wollte das Warum schlüssig beantworten können.

Wenn eine Maschine wie die der Malaysia Airline am 8. März 2014 als Flug MH 370 in den Weiten des Indischen Ozeans verschwindet oder im Mittelmeer abstürzt, wie das Flugzeug der Egypt Air am 19. Mai dieses Jahres auf dem Flug von Paris nach Kairo, dann wird der Pensionist Veit an die Suche nach dem Tornado erinnert und kann sich in die Lage der Spezialisten versetzen, die nach Trümmern und Recordern suchen, um Antworten zu finden.

Manfred Veit ist inzwischen 75 Jahre alt, hat einen veritablen Doktortitel vor seinem Namen stehen und ist als Kreisheimatpfleger für seine unterhaltsamen Führungen bekannt. Den Dr. hat er sich nach seiner Pensionierung an der Uni Eichstätt erworben. Dort hat Veit ein Studium der Geschichte und Volkskunde drangehängt. "Das hat mich schon immer interessiert, und so etwas anderes ist das gar nicht. Geschichte und Volkskunde, das bedeutet doch auch, Antworten auf Fragen zu finden."