Neuburg
Im Geschwindigkeitsrausch

Ein Selbstversuch als Beifahrerin des Rallyeteilnehmers Markus Klos im VW Golf GTI

30.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:08 Uhr

Foto: Tanja Stephan

Neuburg (DK) Rallyefahrer brauchen einen Beifahrer, der ihnen aus dem sogenannten „Gebetbuch“ die Strecke vorlesen muss. Unsere Volontärin Tanja Stephan hat Markus Klos vom Motorsportverein Scuderia Neuburg begleitet und sich als Beifahrerin versucht – leichter gesagt als getan.

Die Landschaft rauscht vorbei. Normalerweise wäre einem als Beifahrer doch etwas mulmig zumute, wenn der Lenker das Auto mit 140 Kilometer pro Stunde in enge Kurven treibt. Aber heute ist keine Zeit, auf die Außenwelt zu achten. Der Blick huscht vielmehr zwischen der nächsten Abbiegung und dem Block auf dem Schoß hin und her, auf dem seltsame Zeichenfolgen stehen. „80 R2+l ma“ heißt die nächste Anweisung an den Fahrer. Der schaut amüsiert aus dem Fenster. Schade, den richtigen Moment zum Vorlesen wieder verpasst.

Dabei klingt es in der Theorie doch so einfach. Rallyeteilnehmer brauchen einen Beifahrer, weil sie nicht wie bei Rundstreckenrennen im Kreis fahren, sondern auf abgesperrten Routen Wertungsprüfungen absolvieren. „Das können Flurbereinigungswege oder Landstraßen sein“, erklärt Stephan Schwerdt, Vorsitzender der Scuderia. „Da kann der Fahrer ja nicht um die Kurve sehen.“ Hier kommt sein Beifahrer ins Spiel: In einer Sichtungsrunde diktiert der Fahrer seinem Begleiter die Informationen zur Strecke in das „Gebetbuch“, die dieser ihm während der Prüfung vorliest. Dann weiß der Fahrer, wann er Gas geben kann oder bremsen muss. So weit zur Theorie.

In der Praxis gestaltet sich das etwas komplizierter. „Die Kunst des Beifahrens ist, das Gebetbuch zum perfekten Zeitpunkt vorzulesen, und das können nur sehr wenige“, sagt Schwerdt, der selbst seit fast drei Jahrzehnten Rallyefahrer im Amateurbereich begleitet. Bei Scuderia gebe es vor Saisonbeginn Beifahrerkurse, erzählt der 50-Jährige. „Aber man muss das Talent haben, zu wissen, wann der Fahrer was hören will.“ Genau das ist die Schwierigkeit, die heute auf einer Teststrecke bei Pfünz gemeistert werden muss.

Die Abkürzungen für das „Gebetbuch“ sind kein Problem. Das ist etwas zum Auswendiglernen. Als Markus Klos, in seiner zweiten Saison als Rallyefahrer unterwegs, mit seinem 115 PS starken VW Golf GTI das erste Mal startet, geht es nur darum, genau zuzuhören und den Bleistift nicht abzubrechen. Schnell sind die richtigen Zeichen im Kopf und auf dem Papier. „150 links fünf in rechts fünf lang“, diktiert Klos. Exakt diese Worte will er später hören. Auf dem Block sieht das anders aus: „150L5 in R5l“ wird notiert. „Wenn man alles ausschreiben würde, würde das ewig dauern“, hat Schwerdt erklärt. Übersetzt heißt diese Zeile also: In 150 Metern kommt eine sehr weite Linkskurve, die in eine sehr weite und lange Rechtskurve mündet. Die Distanz schätzt Klos, vor dem Beifahrer ist aber auch der Tripmaster, ein Wegstreckenzähler, angebracht. Zum richtigen Zeitpunkt vorgelesen, würde Klos nun wissen, auf was er sich einstellen muss.

Und so geht es weiter: „100 rechts vier plus lang, 70 links vier plus lang mach zu, 80 rechts drei lang lang, 170 Kuppe voll“, gibt Klos vor, bis das Ziel nach vier Kilometern erreicht ist. Die erste Seite des „Gebetbuchs“ ist vollgekritzelt – auf schöne Handschrift kann nicht geachtet werden. Hauptsache, sie ist lesbar.

Schon geht es zum zweiten Mal an den Start. Zu welchem Zeitpunkt die Streckeninformationen an den Fahrer weitergegeben werden sollen, ist erst einmal ein Mysterium. „Das ist auch Gefühlssache, wir probieren das jetzt“, sagt Klos. Der 25-Jährige drückt aufs Gaspedal. Ein Versuch kann ja nicht schaden: „150 links fünf in rechts fünf lang.“ Bevor der Satz beendet ist, hat der Golf die erste Linkskurve erreicht – wo bereits die nächste Anweisung folgen sollte. Das war wohl zu langsam.

Klos hat in dieser Saison ein straffes Programm: 18 Rallyes will der Reichertshofener fahren. Spaß macht ihm vor allem der Kampf gegen die Konkurrenz. Mit seinem „richtigen“ Beifahrer Michael Neumaier ist Klos ein eingespieltes Team. „Ich muss mich blind auf ihn verlassen“, sagt er. „Das Zusammenspiel ist sehr wichtig.“ Auch heute wird klar, dass der Beifahrer große Verantwortung trägt – vor allem bei dieser Geschwindigkeit. „Wenn man eine Passage auslässt, der Fahrer sich aber auf den Beifahrer verlässt, ist schnell ein Unfall passiert.“

In der zweiten Runde klappt das mit dem richtigen Zeitpunkt schon viel besser, doch dieser eine Tag reicht natürlich nicht aus, die Kunst des Navigierens zu lernen. „Die Feinheiten kommen mit der Erfahrung“, sagt Klos. Es reiche nicht aus, nur die Zeichen zu beherrschen und den Moment zum Vorlesen zu treffen. Es gehöre eine Menge mehr dazu, um auf dem Siegertreppchen zu landen. Klos versichert aber: „Für das erste Mal war das doch schon ganz gut.“