Neuburg
Der kurze Kampf um den wahren Glauben

18.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Die Spuren der protestantischen Ära in Neuburg sind unverkennbar: Davon zeugen unter anderem die Schlosskapelle (unten links) und die Hofkirche, die einst als evangelisches Gotteshaus begonnen wurde. Michael Teichmann hat sich als Kurator der Ausstellung "Fürstenmacht und wahrer Glaube" dem Thema gewidmet. - Fotos: Janda

Neuburg (DK) Mehr als ein historisches Intermezzo ist es nicht gewesen: Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts wird das Fürstentum Pfalz-Neuburg für rund 75 Jahre evangelisch. Geblieben sind aus dieser Zeit vor allem zwei Kirchenbauten. Und der Stoff für eine Ausstellung.

Neuburgs gewichtiger Pfalzgraf und der große Reformator haben sich wohl nie getroffen. Zumindest gibt es keinerlei Überlieferung einer solchen persönlichen Bekanntschaft. Und doch hatte Martin Luthers Lehre eine besondere Wirkung auf Ottheinrich. Als Spätberufener konvertiert der Neuburger Regent 1542 zum protestantischen Glauben - und löst damit ein rund 75-jähriges Intermezzo in der Geschichte des Fürstentums aus, dem sich derzeit auch die Sonderausstellung "Fürstenmacht und wahrer Glaube" widmet.

Besonders lang dauert die evangelische Ära in Neuburg also nicht. Umso erstaunlicher, dass sich die verstreuten Gebiete der Pfalz in dieser Zeit doch zum evangelischen Musterstaat entwickelten, wie Michael Teichmann erklärt. Der Leiter des Stadtmuseums und Kurator der ambitionierten Schau macht für diese Entwicklung vor allem Pfalzgraf Philip Ludwig verantwortlich, der von 1569 bis 1614 regierte und die Jüngere Neuburger Linie begründete. "Er war ein Erzlutheraner, der die Staatsschulden fast komplett abbaute, die Verwaltung vereinheitlichte und seinem Herrschaftsbereich eine klare Grenze gab", berichtet er. Innenpolitisch also topp! Und außenpolitisch? Genau darin liegt wohl die Ursache für die spätere Abkehr vom Protestantismus unter Philipp Ludwigs Sohn Wolfgang Wilhelm, die für Teichmann politisch motiviert ist.

Am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs tobt der Jülich-Klevesche Erbfolgestreit. Nach dem Tod des dortigen Regenten Johann Wilhelm beansprucht neben dem Brandenburger Kurfürsten Johann Sigismund auch Philipp Ludwig die Gebiete am Rhein; beide sind mit Schwestern Johann Wilhelms verheiratet. Der Neuburger Fürst schickt zur Wahrung seiner Interessen beziehungsweise der seiner Gattin seinen Sohn Wolfgang Wilhelm nach Düsseldorf. "Und der sucht die Unterstützung der anderen protestantischen Mächte - doch vergeblich", erklärt Teichmann. Die Folge: Der damals immerhin schon 34-jährige Wolfgang Wilhelm erinnert sich an seine wittelsbachische Verwandtschaft in München. Der dortige Herzog und spätere Kurfürst Maximilian I. sagt sehr wohl Hilfe zu und gibt dem Neuburger obendrein seine Schwester Magdalene zur Frau. Die Bedingung: Wolfgang Wilhelm muss zum katholischen Glauben wechseln - der Anfang vom Ende des Protestantismus in Pfalz-Neuburg, der dem jungen Monarchen im Vertrag von Xanten zumindest die Regentschaft über Jülich und Berg einbringt. Wolfgang Wilhelms Vater überlebt den Schritt seines Sohnes nicht lange, wohl auch aus Gram über diese Entscheidung stirbt der gläubige Protestant im Herbst 1614. Dass er den Sprössling noch enterben will, gilt als wahrscheinlich. Doch der Tod kommt Philipp Ludwig zuvor.

Ist für das Aus des Protestantismus in Neuburg machtpolitisches Kalkül entscheidend, so sind die Anfänge eher unbekannt. Es muss aber religiöse Überzeugung sein, die Ottheinrich Mitte des 16. Jahrhunderts zum Religionswechsel bewegt. Und das, obwohl er zuvor über Jahre hinweg das luthersche Gedankengut verdammt. Davon zeugt in der Neuburger Ausstellung auch ein Religionsmandat, in dem er sich gegen die neue Lehre ausspricht. Ein Zeichen dafür, dass zu diesem Zeitpunkt bereits protestantische Prediger in den hiesigen Landen unterwegs sind. "Denn so etwas passiert nur, wenn es schon brennt", weiß Teichmann. Für den Kurator steht fest, dass sich der als belesen und gebildet geltende Ottheinrich in der Folge mit dem Wirken des Reformators beschäftigt und sich schließlich davon vereinnahmen lässt - obwohl seine Frau Susanna bis zu ihrem Tod wenig später katholisch bleibt. "Man weiß es aber nicht genau, sondern kann nur über seine Beweggründe spekulieren", erklärt Teichmann, der auch vermutet, dass Ottheinrich sein Herrschaftsgebiet durch den Religionswechsel klar von den restlichen Wittelsbacher Gebieten abgrenzen will. "Gleichzeitig schafft er dadurch ein Fürstentum ohne den Einfluss der Kirche."

Für die Bevölkerung der Pfalz-Neuburger Lande bedeutet der Konfessionswechsel ihres Regenten ebenfalls einen neuen Glauben. Folgt dieser Wandel zunächst erst langsam, ist er ab dem Augsburger Religionsfrieden 1555 für die Untertanen Pflicht. Seitdem gilt im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen der Grundsatz "Cuius regio, eius religio" - also "wessen Land, dessen Religion" -, den ein Jahr später mit der Kurfürstenwürde für Ottheinrich die Bevölkerung der Pfalz zu spüren bekommt.

Wer nun einen religiösen, aber gemäßigten Regenten erwartet, der irrt jedoch. "Der spätberufene Ottheinrich war vielmehr richtig fanatisch", sagt Teichmann und veranschaulicht diese These mit einem Apokalypsen-Kommentar, den der Pfalzgraf illustrieren lässt und der den Papst und katholische Würdenträger als Zerrbilder ihrer selbst zeigt. Ein Umstand, der lange in den Archiven verborgen bleibt.

Am Neuburger Stadtbild geht der Wechsel nicht ohne Folgen vorüber. Die katholische Kapelle St. Martin, an deren Standort heute die Provinzialbibliothek steht, wird plötzlich zum Getreidelager. Das Gegenteil ist in der Schlosskapelle der Fall, wo Ottheinrich den ersten und zugleich einen der schönsten evangelischen Kirchenräume schaffen lässt. Und dann ist da noch die Hofkirche, die Philipp Ludwig nach dem Einsturz des Vorgängerbaus ab dem frühen 17. Jahrhundert errichten lässt. "Denn Neuburg brauchte eine große Kirche", berichtet Teichmann, dem zufolge das Bauwerk als Gegenpol zum katholischen St. Michael in München dienen soll. Die Fertigstellung erlebt Philipp Ludwig freilich nicht mehr, ebenso wenig wie die Umwandlung zu einer katholischen Kirche unter seinem Sohn Wolfgang Wilhelm, der dem Gotteshaus eine eindeutig gegenreformatorische Ausstattung gibt. Unter anderem mit dem Hochaltarbild "Das Große Jüngste Gericht" von Peter Paul Rubens, das heute in der Alten Pinakothek in München zu sehen ist. Heute ist die Hofkirche, von der zum Zeitpunkt der Umwandlung wohl der Rohbau steht, für beide Konfessionen "neutraler Boden", wie der katholische Stadtpfarrer Herbert Kohler sagt. Für Teichmann ist der Wechsel vom protestantischen Musterbau zur katholischen Kirche zugleich eines der skurrilsten Kapitel der Neuburger Geschichte.

Übrigens: Einmal hätten sich Luther und Ottheinrich doch fast getroffen. 1521 nehmen beide am Reichstag in Worms teil. Einen Tag, bevor der Reformator eintrifft, bricht der damals noch streng katholische Monarch jedoch zu einer Pilgerreise ins Heilige Land auf.