Neuburg
Eine Zeitreise ins dunkelste Kapitel

Leslie Schwartz überlebte Auschwitz und Dachau – Der Zeitzeuge beeindruckte im Gymnasium

20.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:03 Uhr

 

Neuburg (r) Es ist mucksmäuschenstill, als der freundliche alte Herr zu reden beginnt. Er spricht Englisch und Deutsch, und seine jungen Zuhörer verstehen, worum es geht: Leslie Schwartz (82) überlebte 1945 als 14-jähriger Bub den Holocaust. In Neuburg erzählte er den Gymnasiasten von dieser schlimmen Zeit.

Das Descartes-Gymnasium hatte den Zeitzeugen eingeladen, um der Oberstufe eindringlichen Geschichtsunterricht zu bieten. Seine Schilderungen beeindrucken die 150 jungen Erwachsenen im Konferenzsaal des Studienseminars. „Leslie Schwartz hat die menschliche Größe, hier von seinen schrecklichen Erlebnissen zu berichten“, so Schulleiter Peter Seyberth zur Einführung.

Leslie Schwartz, der jüdische Bub aus Ungarn, will die dunkle Zeit nicht verdrängen. Im Gegenteil: Seit einigen Jahren reist er in deutsche Städte, um der Jugend über die Judenvernichtung im Dritten Reich, über die Zustände in Konzentrationslagern und die Verbrechen der SS aus eigenem Erleben zu berichten. Der Überlebende hat eine neue Mission gefunden. „Sie gibt mir ein warmes Gefühl“, sagt Schwartz, „und ich hoffe, dass mich dieses Gefühl bis an mein Lebensende nicht verlassen wird“. 54-mal hat er in deutschen Schulen und Unis berichtet, „und ich will noch einige Jahre weitermachen, so Gott will“.

1930 kommt er in einem kleinen ungarischen Dorf zur Welt. Der Bub kann es nicht fassen, dass die willfährige ungarische Regierung jüdische Schulen schließt. Und sie erkennt ihnen die Staatsbürgerschaft ab. Im April 1944 müssen sich die Juden vor der Synagoge sammeln und werden mit Kuhwagen in das Ghetto Kisvárda (Kleinwardein) im Nordosten Ungarns gebracht.

„Wir waren 7000 Juden in diesem Ghetto und zitterten vor zwei jungen SS-Männern“, erzählt Leslie Schwartz. Die Furcht steigert sich zu Todesangst, als die Gefangenen in einen Zug nach Auschwitz steigen mussten. „Wir kamen gegen Mitternacht an, und als ich die rauchenden Schornsteine sah, wusste ich sofort, dass hier etwas nicht stimmt“. Der berüchtigte Lagerarzt Josef Mengele mustert die Ankömmlinge. Auf die Frage nach seinem Alter spannt der 14-jährige Laszlo die Muskeln an und sagt: „Ich bin 17“. Er wollte als arbeitsfähig gelten, kommt aber dennoch in die Kinderbaracke. Die Begegnung mit Mengele, so Schwartz, „werde ich nie vergessen“.

Sandor Grozs, ein Freund aus Ungarn, nimmt ihn mit in die Männerbaracke. Bevor der Bub gesucht wird, setzen ihn KZ-Wachen in einen Zug nach Dachau. Die Häftlinge müssen zur Zwangsarbeit. Seine Familie sieht er nicht mehr wieder. Die Mutter und die 13-jährige Schwester Judith sterben in Auschwitz.

Das Schicksal verschont den Buben, obwohl er krank und ausgehungert die Arbeit im Schienenbau in verschiedenen Außenlagern kaum übersteht. Neben den KZ hatten die Nazis 200 solcher Außenlager in Bayern eingerichtet. Im „Todeszug von Poing“ endet die grausamste Zeit im Leben des Leslie Schwartz. Vom KZ Mühldorf aus schickte die SS Ende April Hunderte Häftlinge nach Poing. Dort meinten die Wachen, der Krieg sei vorbei, und sie lassen die Häftlinge frei. Doch SS-Männer im Ort treiben die Flüchtenden mit Waffengewalt zurück und töten dabei 50 Menschen.

Der 14-jährige Leslie kann davonlaufen und findet Unterschlupf in einem kleinen Hof. Die Bäuerin Barbara Huber hilft ihm: „Diese Frau hat mich gerettet.“ Als die SS kommt, läuft er davon. Ein Schuss trifft ihn in den Kopf und zerschmettert seinen Kiefer. Die Wachen schleppen den Schwerstverletzten zurück in den Zug. Zwei Tage später stoppen Amerikaner den Zug. Leslie Schwartz bleibt am Leben – ganz knapp.

1946 findet er eine neue Heimat in New York. Aber Schwartz kommt zurück nach Germany. In Münster lernt er seine Ehefrau kennen. Außerdem findet er Barbara Riesch, die ihm in Dachau geholfen hatte und die Tochter von Barbara Huber, die ihm Unterschlupf bot.

Gestern Dortmund, heute Neuburg, morgen Münster – Leslie Schwartz reist viel, „um der jungen Generation die Erinnerung zu erhalten“. Fleißig stellen die Gymnasiasten in Neuburg Fragen. „Was hatten Sie für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal wieder in Deutschland waren“, wollen sie zum Beispiel wissen.

Der Zeitzeuge, der die Konzentrationslager ebenso wie sein Freund Max Mannheimer überlebt hat, beantwortet geduldig alle Fragen. Seinen Humor hat er nicht verloren. Er will noch den Oberbürgermeister treffen und einmal wiederkommen: „Neuburg ist schön“. „Wundervolle Zuhörer“, lobt er die Schüler, „Ihr seid nicht verantwortlich für die Vergangenheit, aber Ihr seid verantwortlich für die Zukunft“.