Neuburg
Ein faszinierendes Stück Geschichte

"Die Vermessung der Welt": Inszenierung des bekannten Romans im Stadttheater überzeugt das Publikum

15.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:38 Uhr

Dichte Inszenierung mit hohem Unterhaltungswert: Alexander von Humboldt (links, Markus Penne) und Carl Friedrich Gauß (rechts, Matze Vogel) stehen im Stück "Die Vermessung der Welt" im Mittelpunkt. - Fotos: Hammerl

Neuburg (DK) Genie und Wahnsinn - wie nah sie beieinander liegen, vermittelt im Neuburger Stadttheater eindrucksvoll das Schauspiel "Die Vermessung der Welt". Den Roman von Daniel Kehlmann hat Dirk Engler umgeschrieben, die junge Truppe der Burghofbühne Dinslaken setzt den Stoff beherzt um.

1828 mit dem Naturwissenschaftlichen Kongress in Berlin beginnt die Geschichte um den Weltreisenden und Naturforscher Alexander von Humboldt (Markus Penne) und den an seinem Heimatort Braunschweig fest verwurzelten Mathematiker Carl Friedrich Gauß (Matze Vogel). Beide sind einerseits Seelenverwandte, andererseits stehen sie sich in Lebensform und Methodik diametral entgegen. Seelenverwandt insofern, als jeder für seine Forschungsarbeit brennt. Beide wollen sie die Welt vermessen.

Wobei Gauß unter Wissenschaft einen "Mann allein am Schreibtisch mit einem Blatt Papier und vielleicht noch ein Fernglas" versteht. Ihm reicht es, das Königreich Hannover zu vermessen, wobei er nicht zimperlich ist. Bäume und Schuppen, die ihm im Wege stehen, lässt er fällen beziehungsweise abreißen. Humboldt dagegen bereist die Welt, erforscht alles, was ihm unterwegs begegnet, lässt keine Fragen unbeantwortet am Wegrand liegen. Im Gegensatz zu seinem Begleiter, dem französischen Naturforscher Aimé Bonpland (Patric Welzbacher) lässt er sich nicht ablenken - weder von der Indianerin, die ihn verführen will, noch von einem Krokodil, das seinem Boot auf dem Orinoko immer näher kommt.

Die Inszenierung von Mirko Schombert kommt trotz Weltreise mit einfachen Mitteln aus. Herzstück des Bühnenbilds ist eine schräg nach links fallende Treppe, die mit etwas Fantasie mit einem Schiff assoziiert werden kann, und viele Funktionen übernimmt. Humboldt erwehrt sich beispielsweise der Avancen der Indianerin, indem er sie "ins Séparée" vorausschickt, die Klappe schließt und sich darauf setzt. Wie die beiden Protagonisten bewegt sich auch das Stück auf schmalem Grat zwischen lehrreicher Philosophie- beziehungsweise Geschichtsstunde und Komödie. Humor ist ein wunderbares Stilmittel, um die zwar spannende, aber doch eher wenig bühnengeeignete Geschichte der Aufklärung und Wissenschaft des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts einem breiteren Publikum anschaulich zu vermitteln. Da ist Gauß' kurze Ansprache als Bräutigam. "Das Glück kommt mir wie ein Rechenfehler vor", sagt er und seine ihm intellektuell ebenbürtige Braut Johanna (mit hoher Bühnenpräsenz: Julia Sylvester) versichert: "Genau so eine Rede habe ich mir immer für meine Hochzeit gewünscht." Seinen ersten Antrag hat sie abgelehnt - ahnend, dass ein Leben an seiner Seite ihr "nicht zuträglich" sein werde, da es sie "zu Blässe und Halbwertigkeit eines Gespensts" verdamme. Dennoch wird sie zu seinem Anker im alltäglichen Leben. Sie kümmert sich um die Kinder, führt den Haushalt und im Kindbett sterbend rät sie ihm, wieder zu heiraten.

Bühnenmusiker Jan Exner sitzt immer am selben Platz, ganz links vorn am Bühnenrand, von wo aus er nicht nur in die Saiten greift und singt, sondern gelegentlich auch die Erzählerrolle übernimmt, die sich hauptsächlich Welzbacher, Sylvester und Felix Lampert teilen und dabei eine Art Zeitreise moderieren. Aus dem Jahr 1828 geht es wieder zurück, längstens bis 1777 in die Kindheit der Protagonisten, meist aber in die Jahre um die Jahrhundertwende, die Zeit von Humboldts legendärer Reise. Das Erzählertrio schlüpft zudem in sämtliche Nebenrollen. Goethe tritt als Wegbegleiter und Berater von Humboldt auf, der Herzog von Braunschweig als Gönner von Gauß, der Naturforscher Georg Forster als Vorbild Humboldts, ein Eingeborener als Ruderer des aus drei Kisten bestehenden Bootes auf dem Orinoko.

Ein faszinierendes Stück, das von eindringlicher Spielfreude und hoher Bühnenpräsenz der Akteure getragen wird, aufgelockert durch poppige Musik und teils an Slapstick grenzende Einlagen wie die Insektenabklatsch-Aktion auf dem Fluss. Am Ende gibt es Bravorufe und lang anhaltenden Applaus im ungewohnterweise mal nicht ausverkauften Neuburger Stadttheater.