Neuburg
Ein Stück Neuburger Sozialgeschichte

Gewerkschafter, Awo-Funktionär und Stadtrat: Gerd Stoll und seine Frau Ingrid feiern goldene Hochzeit

17.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr
Das Jubelpaar Ingrid und Gerd Stoll vor einem Schrank mit den Arbeiten von Gerds Vater Franz, der noch das Handwerk des Kirchen- und Kunstmalers erlernt hatte. −Foto: Heumann

Neuburg (lm) Er hat für mehr als eine Generation ein Stück Neuburger Sozialgeschichte geschrieben.

Und immer an seiner Seite die Frau, Partnerin für viele Stunden nachts noch am Schreibtisch, wo der Tag aufgearbeitet sein wollte. Am Donnerstag feierten Gerd und Ingrid Stoll goldene Hochzeit.

 

Beider Lebensplanung war dies ursprünglich freilich nicht. Er hatte schon auf einem Krabbenkutter auf der Eider angeheuert, sie die neue Wohnung für den beruflich bedingten Umzug nach Regensburg bereits angemietet. Aber da kam ein privater Hausball bei Gerds Cousin dazwischen. Die Liebe war stärker als Fernweh und berufliche Perspektive – ein Glücksfall sicherlich auch für Neuburg, wie sich die zwei dann in der Stadt einbrachten.

Für einen gelernten Bergmann, dessen Großvater die Nazis schon 1933 ins Konzentrationslager in Dachau steckten, war das Gewerkschafterleben förmlich vorprogrammiert. Und Gerd Stoll ist keiner, der es lange bei passiver Mitgliedschaft belässt. Er setzt sich für die anderen ein, wurde Vertrauensmann, Vorsitzender der Vertrauensleute, Betriebsrat, Schwerbehindertenobmann und, und, und.

Gelernter Bergmann mit abgelegter Knappenprüfung und gebürtiger Neuburger, der aus einer alten Kunst- und Kirchenmaler-Familie stammt – wie passt das alles zusammen? Aber die Kombination Kirchenmaler und Sozi hatte ab 1933 keine Perspektive mehr, der Vater sattelte schon um. Einen „Beruf mit Zukunft“ zu erlernen – „Kohle für 200 Jahre“ lautete ein Schlagwort damals – ging der 15-jährige Bub zur Rheinstahl Bergbau AG nach Bottrop. 17-jährig wurde Gerd Stoll verschüttet, an eine Karriere unter Tage war nicht mehr zu denken. 1961 also der Wechsel zu wieder einem Namen mit großer Zukunft: Eternit, Arbeitgeber für 700 Beschäftigte in den besten Jahren.

Gerd Stoll stand dann auch in vorderster Front, als diese rasch vorbei waren. Er organisierte, zwischenzeitlich Vorsitzender der Vertrauensleute, den legendären Eternitler-Marsch zum Rathaus, beriet mit dem damaligen Wirtschaftsminister Anton Jaumann Rettungspläne. Die Totalschließung konnte zwar verhindert werden, arg viel indes blieb nicht übrig bis heute. 40 Jahre war Gerd Stoll bei Eternit. Auch die Politik wurde auf den agilen Gewerkschaftler aufmerksam, 1998 zog er für die SPD in den Stadtrat ein. Von 2003 an engagierte er sich im Seniorenbeirat, organisierte dort vor allem die stets beliebten Fahrten – bis 2012. Jetzt machen die Knie nicht mehr so mit – Spätfolgen wohl vieler Jahre als Eishockey-Torwart, was Stoll nicht nur bei der Betriebsmannschaft – auch so was gab es bei Eternit einmal – sondern auch im Ligasport in Pfaffenhofen war. Immer noch nicht genug, kam das ehrenamtliche Engagement bei der Arbeiterwohlfahrt, über Stadt- und Kreisebene bis zum Bezirksvorstand hinzu. 2008 erhält Gerd Stoll für seine außerordentlichen Verdienste das Bundesverdienstkreuz am Band verliehen.

Und stets als Partnerin und Gesinnungsgenossin dabei: Ehefrau Ingrid, langjährige Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst und Mutter der beiden Kinder Jürgen und Sandra, er Diplom-Informatiker, sie Heilerzieherin in Awo-Diensten. Ein gemeinsam erfülltes Leben, nur aus den tollen Reisen, welche die zwei noch alle vorhatten, wird es jetzt halt nichts mehr.