Neuburg
Das ewig junge Theaterstück atemberaubend gespielt

Kompagnie Stuttgart präsentiert in Neuburg den "Jedermann" Brillanter Hauptdarsteller Till Schneidenbach

19.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:11 Uhr

Beim Festgelage ist Jedermann (rechts) mit seiner Buhlschaft (rotes Kleid) noch guter Dinge (Bild links). Dürr und zerbrechlich sind die Grashalme, die Die guten Werke (Anetta Dick) mitgebracht hat (rechts). Sie ist die einzige, die bereit ist, Jedermann (Till Schneidenbach) in den Tod zu begleiten. - Fotos: A. Hammerl

Neuburg (ahl) "Jedermann" hallt es fordernd, fast ein wenig bedrohlich durch den dunklen Bühnenraum und natürlich auch ins Parkett des Neuburger Stadttheaters. Wer fühlt sich da nicht unwillkürlich angesprochen? Gott und Teufel wetten um die Seele des reichen Mannes - wie um die eines jeden vor der Bühne.

Das ist die Botschaft des Mysterienspiels, das Hugo von Hoffmannsthal vor mehr als 100 Jahren verfasste. 40 Jahre alt ist Jedermann (mit ungeheurer Bühnenpräsenz: Till Schneidenbach) und denkt nicht ans Sterben, sondern genießt in vollen Zügen sein ausschweifendes Leben. Da mag seine Mutter (Cornelia Elter in bedeutungsschwerer Dreifachrolle, auch als Gott und armer Nachbar) ihn noch so sehr mahnen und bitten, sich gottgefälliger aufzuführen. Gute Werke? Mitleid mit den Armen? Schuldenerlass für in Not geratene Familien? Fehlanzeige.

Jedermann braucht sein Geld für ein Grundstück, auf dem er einen Lustgarten für seine Buhlschaft errichten will. Oder für zig andere Sachen, die ihm wichtiger sind als gute Werke zu tun, denn "mein Geld muss für mich arbeiten". Wer der wahre Herr ist - er selbst oder Mammon (Christoph Daecke) - das erfährt Jedermann (beinahe) zu spät. Sein Leben auf der Überholspur spiegelt sich im Tempo der an Dramatik, packender Spannung und atemberaubender Intensität reichen ersten Stunde der ausgezeichneten Inszenierung (Cornelia Elter/Christian Schlösser).

Jedermanns barsche Verachtung dem ehemaligen Nachbarn gegenüber, die ergreifend gespielte Szene mit dem aufmüpfigen Schuldknecht (Christoph Daecke), seiner schwangeren Frau (Anetta Dick) und den beiden verängstigten Kindern, sowie schließlich das frivole Trinkgelage mit der Buhlschaft, dem dicken (Semjon Dolmetsch) und dünnen Vetter (Gerhard Nesper) und seinem guten Gesellen (Sebastian Kutz) - jede Szene bringt Jedermann dem Tod (Lou Dömeland) näher, der ganz in Schwarz, gesichtslos, still und doch unausweichlich hinter ihm steht. Die Fäden hält ohnehin Gott, der Herr, in Händen, von Cornelia Elter ebenso unaufgeregt wie schneidend-klar gespielt. Jedermann bekommt die erbetene Stunde Aufschub. Um festzustellen, dass ihn keiner in den Tod begleiten will, weder Freund noch Geliebte, weder Verwandte noch Diener, nicht einmal sein Geld. Es bleiben nur die guten Werke (ausdrucksstark: Anetta Dick) an seiner Seite, doch die wären ohne Gottes Gnade viel zu schwach, um den Teufel abzuwehren. Sebastian Kutz brilliert in der Rolle des Teufels, der keine Hörner braucht, um sardonisch auszusehen. Die Kraft der Worte von Hoffmannsthals wird bei ihm besonders deutlich. Das unregelmäßige, an Knittelverse erinnernde Versmaß gibt dem Text Schwung und hält die Aufmerksamkeit des Publikums hoch, zumal die Schauspieler den Worten enorm viel Aussagekraft mitgeben. Mit einer Ausnahme. Elena Vodoloskina ist als Buhlschaft eine glatte Fehlbesetzung, ihre von starkem Akzent getrübte Artikulation nahezu unverständlich. Das kann in diesem textgewaltigen Stück auch ihr unbestrittenes mimisches Können nicht wettmachen.

Eher karg das Bühnenbild, opulent dagegen die Kostüme, auch hier wird der Gegensatz zwischen Vordergründigem und dem am Ende Bleibenden deutlich. Ein gelungener Theaterabend, nur scheint der "Jedermann" offenbar zu verwoben mit dem Neuburger Volkstheater zu sein. Wie anders ließe es sich erklären, dass die Vorstellung der Theater Kompagnie Stuttgart deutlich schlechter besucht war als sonstige Stücke, die nahezu immer ausverkauft sind? Schade für das großartige Ensemble und ein packendes, ewig junges Theaterstück, das in seiner gut 100-jährigen Geschichte nichts an Aktualität verloren hat.