Neuburg
Neuburger erhält den Tollerpreis

Schriftsteller Roman Ehrlich denkt mit gemischten Gefühlen an seine alte Heimat

23.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:09 Uhr

Ein kritischer Geist: Roman Ehrlich (Mitte) im Gespräch.

Neuburg (DK) Mit Roman Ehrlich erhielt gestern Abend zum ersten Mal ein Neuburger den Neuburger Ernst-Toller-Preis. Der 33-jährige Autor ist hier aufgewachsen und gilt derzeit als einer der interessantesten jungen Schriftsteller. Bei seiner ruhmreichen Rückkehr fand er kritische Worte.

In seiner Dankesrede verpackte Ehrlich eine kleine Abrechnung mit seiner alten Heimat elegant und humorvoll in eine alte Phantasie, die er in seiner Jugend gehabt habe - und weil er die Worte wohl wählte, hier ein Zitat: "In dieser Phantasie habe ich immer wieder die Möglichkeit durchgespielt, dass ich einmal zurückkommen würde in diesen Ort - dass mir in diesem Ort eine Bühne bereitet würde, auf genau diese Art, und dass ich als Mensch, der ich in der Zwischenzeit geworden bin, hochsteigen würde auf diese Bühne und aussprechen, was das Schreckliche und Grauenvolle an diesem Ort ist, warum ich immer schon, seit ich mich erinnern kann, weg wollte aus diesem Ort und nur aufgrund meiner Familie, die ich liebe, immer wieder zurückgekommen bin." Der Literaturpreisträger sagte weiter: "Wie wenig dieser Ort einen Anteil hatte an dem, zu dem ich in der Zwischenzeit geworden war, und wie ich vielmehr zu wissen glaubte, dass ihn eine besonders nachhaltige Feindseligkeit gegen den freien Gedanken und das unkonventionelle Leben immer schon ausgezeichnet hat." Stattdessen verortete er in Neuburg "einen blinden Objekt- und Automobilfetisch", eine Ausgrenzung alles Andersartigen - "wahrscheinlich könnte man verkürzt auch sagen: ein christlich-soziales Selbstverständnis in seiner einzigartigen bayrischen Ausprägung".

Jedoch - nahm Roman Ehrlich dann die Kurve - wolle er diese alte Phantasie nicht verwirklichen: "aus Gründen der Mündigkeit und Selbstermächtigung". Das Wesentliche an diesem Abend sei es nämlich, auf die Literaturbedürftigkeit hinzuweisen, in Neuburg, Berlin oder München.

Das saß. Die Geschichte des Neuburgers, der auszog, Literat zu werden, und dann heimkehrte, Literaturpreisträger zu werden, klang plötzlich nicht mehr so rührig. Aber ehrlich.

1983 in Aichach geboren, ging Roman Ehrlich in die Paul-Winter-Realschule und machte eine Lehre zum Radio- und Fernsehtechniker bei Elektro Förg. "Er war ein ganz braver, aber immer schon ein bisschen anders, damals mit seinen Rastalocken und so. Vom Menschlichen her immer einwandfrei", erinnerte sich gestern sein alter "Lehrmeister" Herbert Förg. Nach der Ausbildung packte der junge Mann auf der Fachoberschule Ingolstadt noch eins drauf. Dann zog es ihn weg, nach Leipzig und Berlin, wo er am Deutschen Literaturinstitut sowie an der Freien Universität studierte.

Heute feiert ihn die Literaturszene. "Es ist das erste Mal und vermutlich auch das letzte Mal, dass ein Neuburger den Ernst-Toller-Preis gewinnt", frohlockte und prophezeite Dieter Distl, der Vorsitzende der Ernst-Toller-Gesellschaft. "Das ist wirklich etwas ganz Besonderes." Die Feierstunde im Stadttheater nutzte Distls Stellvertreter Michael Pilz, um für eine im nächsten Jahr erscheinende, umfangreiche Briefsammlung Ernst Tollers hinzuweisen: Briefwechsel mit so berühmten Namen wie Albert Einstein oder Hermann Hesse, Kurt Tucholsky oder auch Franklin D. Roosevelt. Musikalisch umrahmten Seon-Yeong und Christoph Hoffmann am Marimbaphon und Vibraphon die Preisverleihung.

Roman Ehrlichs Bücher heißen "Das kalte Jahr", ISBN 978-3-8321-9725-4, sowie "Urwaldgäste", ISBN 978-3-8321-9753-7, beide im DuMont-Buchverlag erschienen.