Neuburg
Alles andere kann weg

Faszinierende Tragikomödie "Die Dinge meiner Eltern" im Neuburger Stadttheater

27.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

Eltern und Schwestern bestimmen ihr Leben mit, bis Agnes (Gilla Cremer), die "praktische Nähmaschine", den Haushalt ihrer Eltern auflöst und so mit der Vergangenheit abschließt. - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Wie viele Dinge braucht der Mensch eigentlich? Schauspielerin Gilla Cremer hat darauf eine verblüffende Antwort: zwei, nämlich das Schweizer Messer des Neandertalers, kurz Faustkeil genannt, und das Schweizer Messer des modernen Menschen, das Smartphone. Alles andere kann weg.

Eigentlich. Doch ganz so leicht ist es nicht, wie die Schauspielerin und Autorin in ihrer selbstgeschriebenen Tragikomödie "Die Dinge meiner Eltern" im Neuburger Stadttheater zeigt. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter, die stets "alles sterbefein hinterließ", ganz egal, ob sie das Haus zum dreiwöchigen Familienurlaub oder nur für einen eintägigen Ausflug verließ, war das noch einfach. Jede der vier Töchter erhielt einen einzigen persönlichen Gegenstand. Bärbel, die Älteste, die von der Großmutter ererbte Perlenkette, Milli das Klavier, die praktisch begabte Agnes Nähmaschine und zugehörige Stehlampe, und Hühnchen, die Jüngste, die Madonna aus dem Flur. "Als unser Vater Jahre später starb, erbten wir ein ganzes Haus", blafft Agnes die Zuschauer vorwurfsvoll an, als sei das deren Schuld. Sie ist diejenige, die von ihrem kosmopolitischen Schwestern dazu ausersehen wurde, den Haushalt aufzulösen. Ein Haus, in dem sich im 60-jährigen Familienleben exakt 17 598 Dinge angesammelt haben, die Agnes sorgsam notiert und auf verschiedenen Listen sortiert. Und was sich da nicht alles findet. Acht Kellerregale mit 163 Gläser Eingemachtem, das älteste mit Frühkirschen vom September 1962. Jede Menge Elektrogeräte wie "zwei Fernseher, einer davon defekt, vier Rasierapparate, drei davon defekt". Sie findet zwölf Sammeltassen mit Goldrand, weder staplerbar noch spülmaschinenfest, 37 Sektgläser und zwölf Sektquirle, um die Kohlensäure herauszuquirlen. "Dann hätte man auch Wein trinken können", kommentiert sie trocken. Der Salatschleuder fehlt das Oberteil, 31 Tupperdeckeln der passende Unterbau, es gibt sieben Salzstreuer, drei Pfeffermühlen, die Gebrauchsgegenstände aus dem Bad - "mach ich morgen". Ganz zu schweigen von 121 gebrauchten Plastiktüten, sortiert nach Größe und Farbe, zum Teil mit Bügelfalte, 81 Joghurtbechern, ausgespült und gestapelt für Notfälle, 26 zerschnittene Unterhosen in der Schuhputzkiste. Cremers furioser Monolog hält dem Publikum im wahrsten Sinne des Wortes den Spiegel vor. Die meisten erkennen sich wieder und amüsieren sich köstlich. Jedenfalls bis zur Pause, die Cremer nach Willen des Regisseurs dazu nutzen soll, wie einst als Sechsjährige ihr Zimmer 20 Minuten lang zu durchleuchten, ehe sie ins Bett geht. Aber nachdem Regisseur Dominik Günther nicht anwesend ist, gönnt sie sich und den Zuschauern eine Pause. Danach geht es ans Eingemachte. Statt Listen zu schreiben und bunte Punkte für Behalten, Wegwerfen, Verschenken oder Verkaufen zu verteilen, geht sie nun ans Werk und baut Stück für Stück das aus Umzugskartons zusammengesetzte Haus und damit das Bühnenbild ab. Fragt sich, was sie eigentlich über die Ehe ihrer Eltern weiß, warum sie ihre Mutter nie gefragt hat, warum die sich scheiden lassen wollte, als Agnes zehn Jahre alt war, setzt sich mit ihrer Angst auseinander, die falschen Sachen wegzuschmeißen, versetzt sich in ihre Kindheit zurück und durchlebt manche Szenen noch einmal. So löst sie sich Schritt für Schritt aus der Vergangenheit und macht ihren Frieden mit den Eltern, deren Nachlass nun zudem wird, was er sachlich gesehen ist: nur Dinge. Cremer spielt brillant, der fast zweistündige Monolog fesselt durchgehend, zumal sie immer wieder unvermittelt in die Rollen ihrer drei Schwestern springt, gelegentlich auch in die von Mutter oder Vater. Zum Nachdenken regt nicht nur die Hausaufgabe an. "Welche drei Dinge würden Sie neben Papieren, Faustkeil und Smartphone mitnehmen, wenn Sie Ihre Heimat verlassen müssten".