Fall Rupp wird neu aufgerollt

02.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:08 Uhr

Der Tag als das Urteil zu wanken begann. Am 10. März 2009 holten Polizeitaucher den Mercedes mit der Leiche Rudolf Rupps an der Staustufe Bergheim aus der Donau.

Neuburg/Landshut (DK) Der Fall Rudolf Rupp wird erneut aufgerollt. Das Landgericht Landshut hat ein Wiederaufnahmeverfahren angeordnet. Die Verteidigung rechnet mit Freisprüchen für Ehefrau, Töchter und den Freund der älteren Tochter, die wegen Totschlags und Beihilfe zu Haftstrafen verurteilt wurden.

Das Landgericht Landshut hat am 31. März beschlossen, den Tod von Rudolf Rupp (Bild), der bundesweit für Schlagzeilen sorgte, ganz neu zu verhandeln. Ein Termin steht noch nicht fest, Verteidigerin Regina Rick erwartet aber noch in diesem Jahr ein Urteil. "Ich rechne mit einem klaren und raschen Freispruch", sagte die Rechtsanwältin aus München. Mit der Entscheidung der Landshuter Jugendkammer ist das Ingolstädter Urteil vom Mai 2005 außer Kraft gesetzt, das Ehefrau Hermine Rupp und den Freund der älteren Tochter, Matthias E., wegen gemeinschaftlichen Totschlags für jeweils achteinhalb Jahre, die beiden Töchter wegen Beihilfe durch Unterlassung für dreieinhalb, beziehungsweise zweieinhalb Jahre hinter Gitter schickte.

"Das Strafverfahren wird in den Zustand zurück versetzt, in dem es sich vor dem Urteil befunden hat. Es ist nunmehr neu und selbstständig zu verhandeln", erklärt Theo Ziegler, Vorsitzender Richter am Landshuter Gericht. Schlimmer kann es für die Verurteilten nicht werden. Die Landshuter Richter können das Urteil der Ingolstädter Jugendkammer bestätigen oder zu einem Freispruch kommen. Eine Verurteilung zu einer höheren Strafe ist hingegen nicht möglich. Die 2005 Verurteilten befinden sich inzwischen auf freiem Fuß. Sie haben ihre Strafe verbüßt, respektive für die Restzeit Bewährung unter Auflagen erhalten. Im Falle eines Freispruchs können sie mit einer Haftentschädigung von 25 Euro pro Tag rechnen.

Geständnis und Widerruf

Bei der Wiederaufnahme ist mit einer Reihe von Verhandlungstagen zu rechnen. Die Jugendkammer des Landgerichts Landshut hält aber eine gesonderte Beweisaufnahme für entbehrlich, "da die vorgetragenen Wiederaufnahmetatsachen bereits durch die bei den Akten befindlichen Protokolle, Gutachten und Lichtbilder eine hinreichende Bestätigung gefunden hätten".

Es ist fraglich, ob das Verfahren trotz erneuter Bewertung der Schuldfrage den mysteriösen Tod Rudolf Rupps wird final erhellen können.

Der Heinrichsheimer Landwirt wird am 13. Oktober 2001 zuletzt lebend gesehen, als er gegen 1 Uhr nachts ein Lokal in Neuburg-Herrenwörth verlässt und betrunken in seinen Mercedes steigt. Ist er zu Hause angekommen und im Streit getötet worden? Ist er selbst mit seinem Wagen in selbstmörderischer Absicht in die Donau gefahren?

Am 14. Oktober meldet ihn seine Frau Hermine bei der Polizei als vermisst. Im Januar 2004, mehr als zwei Jahre später, werden Rupps Ehefrau, die beiden Töchter und der Freund der älteren Tochter unter Mordverdacht festgenommen. Hermine Rupp räumt ein, gemeinsam mit Matthias E. den Toten in einem Weiher versenkt zu haben. Im Februar 2004 widerruft die Frau ihr Geständnis. Matthias E. gesteht dann im April, den Landwirt mit einem Hammer erschlagen, zerteilt und an die Hunde des Hauses verfüttert zu haben. Spuren finden sich allerdings keine. Rudolf Rupp und sein Mercedes bleiben verschwunden.

Im Dezember 2004 beginnt ein Indizienprozess vor dem Landgericht Ingolstadt. Im Mai 2005 verkündet die Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Georg Sitka das Urteil: Wegen gemeinschaftlichen Totschlags werden Hermine Rupp und der damals 21-jährige Matthias E. zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die beiden Töchter spricht das Gericht der Beihilfe durch Unterlassung schuldig und verhängt Haftstrafen von zweieinhalb und dreieinhalb Jahren.

Im März 2009 macht die Polizei an der Staustufe Bergheim einen Fund, der alles auf den Kopf stellt: Bei der Bergung zweier versenkter Fahrzeuge aus der Donau hat der Autokran den Mercedes von Rudolf Rupp am Haken. Im Fahrerbereich findet sich die zum Teil skelettierte Leiche des vermissten Landwirts. An der Identität gibt es keinen Zweifel. Eine konkrete Todesursache lässt sich zwar nicht mehr feststellen, der Schädel weist allerdings keine Spuren von Hammerschlägen auf und die Theorie von der Verfütterung an die Hunde bricht in sich zusammen. Trotz einer völlig neuen Sachlage, sieht die Staatsanwaltschaft Ingolstadt keinen Handlungsbedarf. Die Anwälte Klaus Wittmann und Kerstin Hahn (Ingolstadt-Friedrichshofen) sowie Regina Rick (München) drängen auf eine Wiederaufnahme. Zuständig ist das Landgericht Landshut.

"Eklatante Versäumnisse"

Die dortige Staatsanwaltschaft teilt indes die Auffassung der Ingolstädter Anklagebehörde und plädiert auf Ablehnung. Das Landgericht Landshut schließt sich dem an und schmettert am 17. November 2009 ein erneutes Verfahren ab. Nach der Strafprozessordnung müsse ein Freispruch im Raum stehen. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, befinden die Richter in Niederbayern.

Das Oberlandesgericht München hingegen hebt diese Entscheidung auf. Die Wiederaufnahmeanträge der Verurteilten seien zulässig. Drei Richter der Jugendkammer in Landshut geben am 31. März sowohl den Anträgen Hermine Rupps und ihrer Töchter als auch dem Antrag von Matthias E. statt.

Verteidigerin Regina Rick ist zuversichtlich, dass es einen klaren Freispruch geben werde. Dass es nach dem Fund der Leiche mehrerer Anläufe bedurft hat, die Wiederaufnahme in Gang zu bringen, wertet sie als Zeichen, dass man sich "seitens der Justiz recht schwer getan hat, an die Sache ranzugehen". Schon die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hätte ihrer Ansicht nach eine Neuauflage des Verfahrens beantragen sollen. Die Anwältin spricht in der Gesamtschau von "eklatanten Versäumnissen" und davon, dass den Inhaftierten "Unrecht getan" worden sei. Rick: "Ich bestehe darauf, dass aufgearbeitet wird, was in den Ermittlungen damals wie heute schief gegangen ist."