Erste Hilfe für Todkranke mitten im Busch

31.08.2009 | Stand 03.12.2020, 4:42 Uhr

Ein bisschen an der Sonne sitzen: Diese Schwerkranke haben Helfer ins Freie gebracht. Ihr Haus misst gerade sechs Quadratmeter.

Neuburg/Mandeni (DK) Einen Tag lang habe ich das Pflegeteam auf seiner Tour durch den Buschwald begleitet. Zusammen mit einer Schwester und einem Pflegehelfer sitze ich auf einer Bank hinten im Krankenwagen.

Vorne sind die Krankenschwester, die das Team leitet, und der Fahrer, der auch ausgebildeter Sanitäter ist. Zuerst geht es in die Township Sundumbili. In einem Untersuchungszentrum gibt die Schwester Auswurfproben zur Tuberkulose-Untersuchung ab.

Völlig abgemagert

Nach einigen hundert Metern halten wir wieder. Wir stehen vor einem armseligen Haus. Beim Anklopfen merken wir, dass die Türe nicht verschlossen ist. Höflich treten wir ein. Im Schlafzimmer blättert der spärliche Putz von den roten Steinen. Im Bett sitzt eine junge Frau, die offenbar große Schmerzen hat. Der Pflegehelfer misst Blutdruck und Fieber der stark Abgemagerten. Die Schwester überprüft die Einnahme der Medikamente. Die junge Frau hat Aids. Sie war früher schon stationär im Hospiz, konnte aber wieder entlassen werden. Zuhause hat sich der Zustand der Kranken so verschlechtert, dass die Schwester entscheidet, sie gleich wieder ins Hospiz zu bringen. Alles was sie an Kosmetikartikeln hat, ist eine Zahnbürste. Unterstützt von den Helfern, geht sie mit kleinen Schritten zum Krankenwagen. Wir bringen sie zum Blessed Gérard‘s Hospiz. Dort wird sie stationär aufgenommen.

Die Fahrt geht weiter nach Mangete. Kleine Wälder und weite Zuckerrohrfelder säumen den Weg. In den weich abfallenden Hügeln in der Ferne sind die Streusiedlungen der Zulu malerisch verteilt. Der Krankenwagen zwingt sich mittlerweile durch sehr unwegsames Gelände. Ich halte mich mit beiden Händen am Sitz fest. Wir biegen unzählige Male ab, bis wir am Ziel sind.

Wir stehen vor einer aus Bruchsteinen erbauten Hütte. Sie misst zirka zwei auf drei Meter. Drinnen liegt eine abgemagerte Frau in Decken gehüllt auf dem Boden. Ich bin tief erschüttert. Die Frau hustet stark. Auch sie hat Aids. Ihr ganzer Besitz besteht aus wenigen stark verschmutzten Kleidern, einer Spiegelscherbe, zwei Plastiktellern, zwei Bechern, etwas Aluminiumbesteck und einer kleinen Wanduhr, die am Boden liegt. In einer Ecke sind ein paar Steine, die Feuerstelle. In einer verrosteten Blechdose ist gekochter Maisbrei. Der Topf, den sie besaß, wurde ihr gestohlen.

Die Helfer breiten vor der Hütte eine Decke aus und bringen die Kranke nach draußen. Die frische Luft und die Sonne tun ihr gut. Eine der Schwestern telefoniert mit dem Care-Zentrum. Die Krankenschwester beginnt, den Staub und Schmutz mit der Bürste zusammenzukehren. Ich will sie ablösen. Zuerst zögert sie. Dann erkläre ich ihr, dass ich selbst drei Kinder habe, weder Diener noch Hauspersonal habe und an Arbeit gewöhnt sei. Da willigt sie ein. Die Helfer bringen die Frau zurück in die Hütte. Ihr knochiges Gesicht lächelt. Jetzt messen sie Blutdruck und Fieber. Die Krankenschwester erklärt mir, dass auch diese Frau bereits im Hospiz war und auf eigenen Wunsch nach Hause wollte, weil sie einen achtjährigen Sohn hat, der sonst ganz alleine wäre. Jetzt ist er gerade in der Schule. Als wir fertig sind gehe ich nochmals zu der Frau und wünsche ihr alles Gute. Ich streiche ihr dabei über ihren dürren Arm. Sie schenkt mir ein Lächeln.

Achtjähriger als Pfleger

Nach einem kurzen Mittagessen bringen wir einen Aidskranken, der einen Schlaganfall erlitten und halbseitige Lähmungen hat, zur Physiotherapie nach Sundumbili, damit seine Muskulatur wieder aufgebaut werden kann. Ich sitze neben ihm und stütze ihn. Er hat einen Plan mit bebilderten Übungsanweisungen als Gedächtnisstütze. Später sitzt er mit gelöstem Gesichtsausdruck im Wagen. Er spürt, dass ihm geholfen wird. Er taut richtig auf und spricht mit der Schwester.

Eine Mitarbeiterin steigt mit Schreibunterlagen in den Krankenwagen. Ich freue mich sehr, als wir wieder vor der Hütte der Frau sind, die kein Bett besitzt. Ihr achtjähriger Sohn steht in der Türe. Alle Helfer kommen in die kleine Behausung. Jetzt sehe ich, was in dem Karton ist, den sie mitgebracht haben: Maismehl, Reis, Zucker, Öl, Bohnen und noch ein paar andere lebensnotwendige Nahrungsmittel. Solche Direkthilfen werden aus dem Blessed Gérard‘s Nothilfe-Fonds finanziert. Die Frau, die mitgekommen ist, ist die Sozialarbeiterin des Care-Zentrums. Sie spricht eingehend mit dem Jungen. Er versorgt seine kranke Mutter offensichtlich alleine. Er teilt uns mit, dass er Angst hat, dass ihnen die Lebensmittel gestohlen werden könnten. Die Augen der Kranken schweifen zu ihrem Sohn und dann schaut sie mich wieder fest an. Ich nicke ihr zu und verstehe, dass er alles ist, was sie hat. Ich bin ergriffen, wie sehr sie an ihm hängt und wohl auch von ihm abhängig ist. Dieser Augenblick hat sich mir tief ins Herz eingeprägt.

Der Junge steigt mit uns in den Krankenwagen ein. Die Schwester erklärt mir, dass wir zu Bekannten der Kranken fahren werden. Der Junge sagt, dass die Lebensmittel dort sicher seien. Wir treffen die Familie an, erklären die Sachlage und lassen die Vorräte dort. Später erfahre ich, dass sich die Bekannten bereit erklärt haben, täglich bei der Kranken vorbeizuschauen. Die Sozialarbeiterin sucht nach Wegen, wie dem Jungen weitergeholfen werden kann, wenn seine Mutter ins Hospiz eingewiesen wird. Ohne Behandlung wird sie innerhalb kurzer Zeit tot sein. Durch antiretrovirale Medikamente werden die HI-Viren an der Vermehrung im Blut gehindert. Das bedeutet für den Patienten, dass er sich bald besser fühlt. Auch die Lebenserwartung steigt.

Jetzt führt der Weg wieder auf die Hauptstraße zurück. Der nächste Patient ist ein Mann, dessen viele Rückenwunden nachuntersucht werden. Sein Zustand hat sich mittlerweile stark gebessert. Die Schwester schreibt ihren Behandlungsbericht in die Krankenakte.

Tief erschüttert

Während der Fahrt bekommt sie einen Anruf. Wir wenden und fahren ein Stück zurück. Ein Mann zeigt uns, wo wir hinfahren sollen. Offensichtlich braucht man unsere Hilfe. Mit dem Pickup fährt er voraus zu einem Haus. Seine Mutter liegt im Bett und die Krankenschwester schlägt die Decke zurück. Die Frau hat am Rist des linken Fußes eine Verbrennung zweiten Grades. Die Schwester reinigt die Wunde und legt einen Verband an.

Auf der Rückfahrt blicke ich aus dem schmalen Sichtbereich des Sanitätsfahrzeuges in die untergehende Sonne. Ich bin voll Bewunderung für dieses Team, das tagein, tagaus diesen Dienst so aufopferungsvoll und voller Menschlichkeit bei den Armen leistet, deren Leid mich tief erschüttert hat.