Neuburg
Ein Fünftel schafft es nicht in den Laden

Agrarwissenschaftler zu Löwenstein spricht über Landwirtschaft, Lebensmittel und Welternährung

19.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:32 Uhr
Nach dem Vortrag signierte der Agrarwissenschaftler Prinz Felix zu Löwenstein seine Bücher, hier für Cecile Bergmann, Ulla Eller und Michael Olma (v.l.). −Foto: Hammerl

Grünau (ahl) Ökologischer Landbau sei "kein Luxus für reiche Leute", sagt der promovierte Agrarwissenschaftler Prinz Felix zu Löwenstein, sondern habe das Potenzial, die Ernährung aller Menschen zu sichern. Die industrielle Landwirtschaft dagegen sei "kein zukunftsfähiges System".

"In der globalen Ernährungssicherung ist nicht die Produktivität das Problem", lautete die Hauptthese des Referenten, mit dessen Vortrag "Food Crash" der Neuburger Arbeitskreis "Konsum und Ernährung" der Agenda 21 um Birgit Bayer-Kroneisl voll ins Schwarze traf. Der Andrang war enorm, der Konzertsaal im Jagdschloss Grünau komplett ausgebucht, weshalb etliche Interessierte, die es versäumt hatten, sich anzumelden, abgewiesen werden mussten, weil aus Sicherheitsgründen nur 140 Personen zugelassen waren.

Dem Vortrag schickte Moderator Michael Olma von Slow Food einige Zitate aus Löwensteins Buch voraus, dessen provokanter Untertitel "Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr" lautet. Woraus er das ableitet, rechnete der Autor vor. Wenn sich alle sieben Milliarden Menschen auf der Erde so ernährten wie die Bürger der Industriestaaten, müssten 2366 Millionen Tonnen Futtermittel im Jahr produziert werden - aktuell sind es 1800 Millionen Tonnen. "Das funktioniert also nicht", stellte Löwenstein klar. Würde der Fleischkonsum aber auf etwa ein ein Drittel des aktuellen reduziert, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auch aus gesundheitlichen Gründen empfehle, dann würden sehr viele pflanzliche Lebensmittel für den menschlichen Verzehr frei. Neben dem hohen Fleischkonsum machte er die Essensvernichtung als Ursache aus für 0,8 Milliarden hungernde Menschen und weitere 1,5 Milliarden, die zwar genügend Kalorien, aber nicht ausreichend Nährstoffe zu sich nähmen. Ein Fünftel der produzierten Lebensmittel schaffe es nicht einmal an die Ladentheke, ein knappes Drittel verderbe in den Haushalten. Und zwar nicht nur in den Industrieländern, sondern auch dort, wo der Hunger am größten sei, was an der mangelnden Infrastruktur liege.

Dass konventionelle Landwirtschaft hochproduktiv sei, bezweifelte der Referent keineswegs, der selbst sechs Jahre konventionell gearbeitet hat, ehe er den geerbten Betrieb auf Ökolandbau umstellte. Er kritisierte aber, sie arbeite nicht effizient, worauf es letztlich ankäme. So gelängen von 160 Kilogramm auf einem Hektar Acker ausgebrachtem Stickstoffdünger, der mit hohem Energieaufwand von zwei Litern Erdöl pro Kilogramm produziert wurde, nur 70 Kilogramm in die Pflanzen, 90 Kilogramm landeten dagegen in der Umwelt und führten zu Todeszonen in den Meeren. Pflanzenschutzmittel griffen in Ökosysteme ein, dabei werde oft vergessen, dass auch der Mensch Teil des Ökosystems sei. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen würden weltweit ungefähr 5000 Kilokalorien pro Erdenbürger erzeugt, 2000 bis 2500 Kilokalorien würden ausreichen. Da die ökologische Landwirtschaft durchschnittlich etwa 80 Prozent des Ertrages konventioneller Betriebe erwirtschafte, ließe sich die Weltbevölkerung durchaus aus ökologischem Landbau ernähren, rechnete er vor. Kleinbauern, die 65 Prozent der Lebensmittel auf Betrieben mit weniger als zwei Hektar Fläche erzeugten, seien das Rückgrat der Welternährung, gerieten aber oft in die Verschuldungsfalle. Was einst auch bei uns der Fall gewesen sei - bis Wilhelm Raiffeisen die Genossenschaften gründete.

Löwenstein fordert "Bildung und Forschung für Bauern, statt Hightec fürs Patentamt". Ökolandbau sollte an Universitäten und Landwirtschaftsschulen gelehrt werden, Preise müssten "die ökologische Wahrheit sprechen". Er sprach sich durchaus für ein Nebeneinander konventioneller und ökologischer Landwirtschaft aus - beide könnten voneinander lernen, beider Kreativität werde gebraucht. Gefordert sei die Politik, denn von der chemischen Industrie könne keine Forschung erwartet werden, die sie überflüssig mache; Subventionen müssten kontrolliert abgegeben werden, eine Abgabe auf Stickstoff sei notwendig.

Die Stadt Kopenhagen habe es geschafft, in ihren städtischen Küchen 66000 Essen aus 90 Prozent Biolebensmitteln täglich zu produzieren - mit dem Ergebnis, dass Frische und Qualität stiegen. "Das Rezept ist einfach: weniger Fleisch, weniger Wegwerfen, weniger Convenience-Produkte", berichtete Löwenstein. Für Verbraucher hatte er sechs Tipps parat: Biolebensmittel kaufen, möglichst saisonal und regional, weniger Fleisch, nachhaltigen Fisch kaufen, selber zum Erzeuger werden und nur das zu essen, "was auch Ihre Großmutter als essbar erkannt hätte".

Für sein eineinhalbstündiges Referat gab es donnernden Applaus, in der anschließenden Diskussion wurden noch weitere Büchsen der Pandora aufgemacht wie Patente auf pflanzliche und tierische Gene, die von wenigen Unternehmen weltweit gehalten werden. Landwirtschaftsdirektor Josef Konrad stellte klar, auch an seiner Schule werde ökologischer Landbau unterrichtet, viele junge Landwirte wollten umstellen, was aber nicht so einfach sei, so mancher habe schon viel Lehrgeld bezahlt. Er forderte eine ehrliche Diskussion.

Vorab hatte Oberforstdirektor Harald Textor vom Wittelsbacher Ausgleichsfonds, der keine Saalmiete für die Veranstaltung verlangt hatte, ausführlich Historie des Jagdschlosses, Besiedelung des Donaumooses, Auwald und Problematik der Donauabsenkung für die Fundamente des Wasserschlosses erläutert. Anke Deiml stellte die Themen des Arbeitskreises vor und dankte Cecile Bergmann, die als Cousine des Prinzen den Kontakt hergestellt hatte.

Als Vertreter der Stadt zählte Heinz Schafferhans diverse strittige Themen rund um Ernährung und Landwirtschaft auf, stellte unter anderem die Frage: "Ist Glyphosat ein Gift oder unverzichtbar für den Landwirt?" und gab zu, Löwensteins Bücher noch nicht gelesen, sondern dessen Besuch in Neuburg abgewartet zu haben