Neuburg
Die Sprache ist der Schlüssel

Intensivklassen und breites Angebot sollen Integration fördern - Landrat: "Projekt, das exzellent läuft"

23.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:31 Uhr
Lernen mit Eifer: ausländische Schüler in der Nachmittagsbetreuung an der Neuburger Mittelschule, die hier Besuch von Kommunalpolitikern und Pädagogen erhalten. −Foto: Frank

Neuburg (DK) Migrantenklassen und Wertevermittlung auf dem Lehrplan - die Idee des Ministerpräsidenten Markus Söder zur Förderung der Integration hat naturgemäß Kritiker auf den Plan gerufen. Dabei funktioniert etwas Ähnliches in Neuburg bereits seit Jahren.

"Wir haben ein Projekt, das unumstritten exzellent läuft, ein rundes, nachhaltiges Konzept", sagt Landrat Roland Weigert (FW), der den Ministerpräsidenten nach Neuburg einladen will, um ihm das seit sieben Jahren funktionierende Modell zu zeigen. "Wir sind sehr erfolgreich. Unser Ansatz ist wertiger, weil er stärker auf Integration abzielt", betont der Landrat. Man müsse versuchen, die Sprachbarrieren zu überwinden und Kinder nur so lange separat zu unterrichten wie es notwendig ist. Die Eingliederung in den Regelbetrieb sei das Ziel. "Wenn Kinder die Schulqualifikation haben, dann bekommen sie auch eine Lehrstelle. Dann bekommen sie Arbeit, zahlen Steuern und brauchen keine Transferleistungen", zeigt sich Weigert pragmatisch.

Wie sieht das in der Realität aus? Denis ist so ein Beispiel. Der Junge kommt aus Kroatien, ist seinen Worten nach erst drei Monate in Deutschland, aber bereits in der Lage einen deutschen Lückentext fehlerfrei zu vervollständigen. Das Tempo, in dem Kinder eine ihnen fremde Sprache erlernen, ist für ein Erwachsenenhirn atemberaubend. Die Erfolgsbilanz der Grund- und der Mittelschule in Neuburg kann sich sehen lassen (siehe Kasten).

Doch was beinhaltet dieses Konzept genau? Es ist zunächst keine isolierte Maßnahme, sondern ein Gesamtpaket mit Kooperationspartnern, Haupt- und Ehrenamtlichen und viel Engagement. Die Sprachintensivklassen sind der Regelbeschulung vorgeschaltet, damit die Kinder einerseits nicht abgehängt werden, andererseits Mitschüler nicht ausbremsen. Die Auswahlentscheidung trifft Projektleiter Mehmet Nehir. Der 57-jährige Türke hat in seiner Heimat Deutsch für Gymnasien studiert, dann in Eichstätt seinen Magister abgelegt und arbeitet seit über 20 Jahren in derartigen Projekten. Die Zielgruppe sind Schüler verschiedener Nationalitäten, besonders aber Asylsuchende, die schulpflichtig sind und als Seiteneinsteiger in die Grund- und Mittelschule eintreten. Dort sollen sie nicht nur die deutsche Sprache erlernen, sondern auch die kulturellen Eigenheiten ihres neuen Heimatlandes vermittelt bekommen. Die Kinder werden in Übergangsklassen von der ersten bis zur vierten und von der fünften bis zur neunten Jahrgangsstufe unterrichtet. Die Übergangsklassen umfassen 13 bis 20 Schüler. Es gibt kleine Lerngruppen, einen Lehrplan für Übergangsklassen und Lesepaten unterstützen die Kinder außerdem noch. "Wir haben 26 Ehrenamtliche", berichtet Nehir.

In einem zweiten Projekt sind es 20 Wochenstunden Deutsch und zehn Stunden Regelbeschulung. Dann gibt es noch die Modulare Ganztagesschule mit qualifizierter Hausaufgabenbetreuung, Freizeitgestaltung, gemeinsamem Mittagessen, Bewerbungs- und Konflikttraining - alles in der gemeinsamen Sprache Deutsch. Die Zahl der Schüler ist nicht zementiert. Wer den Erfordernissen der Regelschule genügt, kann dort weitermachen. "Integration findet nicht zu 100 Prozent am Arbeitsplatz und auch nicht zu 100 Prozent auf der Straße statt. Sie beginnt in der Schule und mit der Sprache", sagt Nehir. Als Projektleiter ist sein Wirkungsbereich nicht auf die Schule beschränkt. Er macht auch Hausbesuche, schaut sich die Familien an. Als Mann und Moslem öffnet sich ihm dabei manche Türe vielleicht etwas schneller. Ihm ist es wichtig, die Eltern mitzunehmen. Dazu gehört auch, dass Mütter gemeinsam für ihre Kinder kochen. "Die Damen sagen, was und wie viel sie brauchen. Sie bereiten dann eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein Dessert zu", erklärt der 57-Jährige. "Es sind 90 bis 100 Leute, für die gekocht wird. Das ist schon eine Leistung", ergänzt Emmy Böhm, die Leiterin der Ausländerbehörde am Landratsamt. Sie gehört zu den geistigen Urhebern dieses Projektes und steht von Anbeginn mit Herzblut dahinter.

Der Landkreis hat nicht auf höhere Eingebungen aus München gewartet, sondern vor sieben Jahren selbst das Heft in die Hand genommen. Rund 125000 Euro kostet das per anno. Auf knapp 70000 Euro bleibt der Landkreis sitzen. Die muss er aus eigener Tasche finanzieren. "Das ist gut angelegtes Geld", versichert Mehmet Nehir. Zudem hat sich der Kreis Kooperationspartner gesucht. Da wären die Kreishandwerkerschaft, die Stadtwerke Neuburg, der BSV, die Lebenshilfe, der Caritasverband und die Volkshochschule.

Ist es schon etwas unorthodox für eine Behörde, nicht auf den staatlichen Segen zu warten, so ist es noch ungewöhnlicher, auch die Eltern mit sanftem Druck zu überzeugen, an Integrationskursen teilzunehmen. Sie werden in den Bildungsprozess eingebunden, erlernen ebenfalls die deutsche Sprache. Es gibt besondere Elternabende, besagte Hausbesuche, Training in Erziehungskompetenz und natürlich Elternsprechstunden. Insgesamt nahmen bislang 119 Eltern dieses Angebot wahr, aktuell sind es 25.

"Wir habe gute Erfahrungen gemacht", bestätigt Oberbürgermeister Bernhard Gmehling. Die Grund- und Mittelschulen sind städtisch, so dass die Kommune als Sachaufwandsträger für Ausstattung und Material aufkommt. Überzeugt ist auch Schulleiterin Anna Graf: "Es ist eine gute Sache. Eines der wichtigsten Dinge ist, dass die Kinder Deutsch lernen."

Rückendeckung gibt es vom Schulamt. "Ich stehe voll hinter den Sprachintensivklassen. Das läuft sehr gut", sagt Leiterin Ilse Stork. Fördermaßnahmen gibt es auch in der Grundschule Ost in Neuburg und an der Franziska-Umfahrer-Grundschule in Schrobenhausen. Darüber hinaus gibt es Deutsch-Vorkurse in Kindergärten, wo insgesamt 180 Buben und Mädchen von Lehrern unterrichtet werden.

Menschen aus etwa 115 Nationen leben im Landkreis, deren Integration für den Landrat nicht nur eine sozialpolitische Aufgabe sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist. Sein Vertreter Alois Rauscher (CSU) fasste bereits im Mai 2014 zusammen: "Ohne gut ausgebildete Zuwanderer lassen sich künftige Herausforderungen im globalen ökonomischen Wettbewerb nicht bewältigen."  

Die Erfolgsbilanz

Die Sprachintensivklassen nach dem Neuburger Modell geben den Buben und Mädchen die Gelegenheit, ihr Können zu entfalten. Im Schuljahr 2011/12 konnten 13 Kinder in Regelklassen wechseln, zwei Schüler schafften den Sprung auf die Realschule, einer aufs Gymnasium. Ein Jahr später wechselten 17 Schüler in Regelklassen. Sit hatten gute oder sehr gute Kenntnisse in Wort und Schrift. Einer ging an eine Regelberufsschule, einer an die Realschule. Im Schuljahr 2013/14 wechselten 18 Schüler an Regelklassen, einer an die Realschule, einer ans Gymasium. 2014/15 wurden 36 Schüler in Regelklassen aufgenommen, drei besuchten den M-Zug der Mittelschule. Ein Jahr später konnten 29 Schüler Regelklassen besuchen, drei schafften den Qualifizierenden Mittelschulabschluss, drei den Mittelschulabschluss. Im vergangenen Schuljahr wurden 37 Schüler in Regelklassen übernommen, fünf bestanden den Qualifizierenden Mittelschulabschluss, zwei bestanden die Aufnahmeprüfung für den M-Zug und besuchen die M10. Zwei Schüler bestanden  die Mittlere-Reife-Prüfung nach der M10.kpf