Neuburg
Der Kampf gegen die "Gespenster"

Theatergastspiele Fürth zeigen tiefgründiges Drama von Henrik Ibsen - Großartige Darsteller

18.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:32 Uhr
Überzeugend spielt Anja Kruse das Schicksal von Helene Alving in Ibsens Drama "Gespenster". Die Vorstellung im Neuburger Stadttheater, hier mit Michael Kühl als Helenes Sohn Osvald, beeindruckte das Publikum. −Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Einen Skandal löst Henrik Ibsens Familiendrama "Gespenster" knapp 140 Jahre nach der Uraufführung nicht mehr aus. Aber Stoff für einen unter die Haut gehenden Theaterabend bietet es immer noch, ganz besonders mit einer so charismatischen Hauptdarstellerin wie Anja Kruse.

Ihr gelingt eine tiefgründige Charakterstudie der Helene Alving, einer starken Frau, die einen heroischen Kampf in einer abgründigen Ehe a ausgefochten hat. Eine Frau, die doppelt gekämpft hat, als es nicht nur um ihre vermeintliche Pflicht ging, den schönen Schein nach außen zu bewahren, sondern auch noch um das Wohl ihres einzigen Kindes. Dass sie Osvald schon mit sieben Jahren aus dem Haus gegeben hat, um ihn vor den Exzessen seines Vaters zu schützen und ihm das positive Bild des Erzeugers (ist er das überhaupt?) zu bewahren, macht ihr Pastor Manders Jahre später zum Vorwurf.

Ralf Komorr verleiht dem Pastor ein Höchstmaß an selbstgerechten Zügen, aber auch eine gewisse Geschmeidigkeit, so dass er gerade noch rechtzeitig umschwenken kann, wenn er zu erkennen glaubt, zu weit gegangen zu sein. Prompt warnt er vor falscher Beurteilung der Mitmenschen und stellt fest, "welch Freude es doch ist, zu erkennen, dass man sich geirrt hat". Doch worum geht es dem Pastor wirklich? Um Pflicht, die bürgerliche Gesellschaftsordnung und den schönen Schein, den die Gesellschaft höher schätzt als Freiheit und Wahrheit? Oder eher doch um die eigene Bequemlichkeit, den eigenen guten Ruf oder gar die lächerliche Sorge, das Festessen könne ihm nach Helenes Worten plötzlich nicht mehr schmecken?

Zehn Jahre ist Hauptmann und Kammerherr Alving bereits tot, als seine Witwe ein Waisenhaus als sein Vermächtnis eröffnen will. Doch die Vorwürfe des Pastors, aber auch die Ankunft Osvalds bringen sie an ihre Grenzen. Die Zeit ist endlich reif, reinen Tisch zu machen, die schöne Scheinwelt als solche zu entlarven - zumindest innerhalb der Familie und vor dem alten Freund der Familie, dem Pastor. Ein schöner Freund war er ihr, damals, als sie zu ihm kam, um ihrer Ehe zu entfliehen. Er schickte sie mit Hinweis auf ihre Pflichten als Ehefrau, die "nicht zum Richter ihres Gatten bestellt ist" zurück. Was er rückblickend als "schwersten Kampf und größten Sieg meines Lebens", sie jedoch als "seine kläglichste Niederlage und ein Verbrechen an uns beiden" wertet.

Den Kampf gegen die Gespenster, die in dem vom Bühnenbildner ganz in Schwarz, Grau und Weiß gehaltenen Haus umgehen, können die Menschen nur verlieren. Es sind innere und äußere Gespenster, "nicht nur, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns herumgeistert, sondern auch alte, abgestorbene Meinungen aller Art, keine lebendigen Gespenster, und doch sitzen sie in uns fest".
Büßen müssen es die Kinder, denn die Sünden der Väter schlagen auf sie durch. Helenes Sohn Osvald (Michael Kühl) hat die Syphilis seines Vaters geerbt oder - wie Ibsen nur andeutet - durch sexuellen Missbrauch übertragen bekommen. Er verliebt sich in seine Halbschwester Regine (Sarah Maria Besgen), Tochter des Kammerherrn und eines Hausmädchens, und verliert jede Lebensfreude, als seine Mutter deren Herkunft enthüllt. Regine hätte dem Todkranken den letzten Wunsch erfüllen sollen, doch sie entscheidet sich dafür, mit ihrem Ziehvater, dem Tischler Engstrand (Sebastian Sash), in die Stadt zu gehen und ein Seemannsasyl aufzumachen.

Engstrand verkörpert die pragmatische Moral des kleinen Mannes, die allerdings nicht vor sanfter Erpressung Halt macht.
Eine packende und trotz der relativ langen Spielzeit von fast zweieinhalb Stunden stringente Inszenierung der Theatergastspiele Fürth mit großartigen Schauspielern, die die Tiefgründigkeit der Charaktere ausgezeichnet herausarbeiten.