Neuburg
"Der Gläubiger wird erpressbar"

Sparkassenchef Kurt Müller über den Euro, Risiken und das Finanzgebaren der EU-Staaten

24.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:31 Uhr
Sparkassenchef Kurt Müller glaubt nicht an eine baldige Schieflage des Euro. −Foto: Hammerl

Neuburg (ahl) Wie geht es weiter mit dem Euro und der EZB? Ist mit der europäischen Einlagensicherung EDIS, einer Bankenunion oder gar einem Europäischen Finanzministerium zu rechnen? Sparkassenchef Kurt Müller beantwortet diese Fragen aus Sicht der kleinen regionalen Banken.

Herr Müller, wie sehen Sie die Entwicklung des Euro?
Kurt Müller: Mit gewisser Sorge. Damit meine ich nicht, dass er nicht stabil wäre - im Gegenteil, er entwickelt sich gut. Sorge machen mir eher die Politiker, und da auch weniger die deutschen als vielmehr die des europäischen Auslands. Und zwar diejenigen, die ihre eigenen Probleme nicht lösen wollen oder können und stattdessen immer mehr Schulden im Euroraum aufbauen, allen voran Italien. Bekannt sind den meisten Bürgern jedoch nur die Staatsanleihen, nicht die Summen im Zahlungssystem Target 2.

Allein schon aufgrund der hohen Defizite bei den Staatsanleihen würde ich solchen Staaten kein Geld geben. Es ist richtig spannend, wie sich Griechenland und Italien finanzieren. Immerhin hat Italien es geschafft, sich am Kapitalmarkt zu halten. Portugal bewegt sich ebenfalls mit hoher Verschuldung, wovon allerdings niemand redet. Auch ich sehe Portugal nicht als vorrangiges Problem, aber Italien und Griechenland machen mir Sorgen. Noch mehr Target 2.

Was hat es damit auf sich?
Müller: Target 2 ist ein Verrechnungssystem der EZB und funktioniert so: Beispielsweise bestellt ein italienischer Autohändler einen Audi in Deutschland und finanziert ihn über einen Kredit seiner Bank. Das läuft dann über die EZB. Die bucht für Italien einen Soll-Saldo und für Deutschland den entsprechenden Haben-Saldo. Das lässt sich theoretisch bis ins Unendliche machen. Früher wurde ein Ungleichgewicht durch den Wechselkurs ausgeglichen, aber heute gibt es keinen Kurs mehr, Italien kann nicht mehr abwerten. Je mehr Ware Italien einkauft, umso höher wachsen die Verrechnungskonten im Euro-Raum. Wenn jemand auf die Idee käme, eine Schlussabrechnung zu machen, dann hat die Bundesbank plötzlich mehr als 914 Milliarden Euro im System. Wollte die Bundesrepublik den Euro aufgeben, wäre sie erpressbar. Denn dann müssten die nationalen Notenbanken sofort zahlen, und die italienische würde natürlich sagen: 'Liebe Bundesbank, du hast sicher Verständnis, dass ich in Lira zahle'. Für mich gehören diese Summen im Target 2 in die Staatsverschuldung mit eingerechnet. Das hat auch Hans-Werner Sinn, der frühere Chef des Ifo-Instituts, sehr schön klargelegt und wurde dafür heftig angegriffen. Kurz gesagt, die Deutsche Bundesbank ist der Wirt, bei dem die Zeche angeschrieben wird, die anderen Nationalbanken sind die Gäste, die gerade nicht zahlen können. Irgendwann müssen diese offenen Rechnungen aber bezahlt werden.

Sie sagen also, die Bundesbank als Gläubiger und damit die Bundesregierung und letztlich der deutsche Steuerzahler sind erpressbar?
Müller: Ja genauso ist es. EZB-Chef Mario Draghi kann machen, was er will. Denn in dem Moment, in dem Schuldnern zu viel Geld gegeben wird, wird der Gläubiger erpressbar - nicht umgekehrt.

Eigentlich wäre jetzt Bundesbank-Chef Jens Weidmann an der Reihe, EZB-Präsident zu werden, aber das wird skeptisch gesehen - wie sehen Sie das?
Müller: Deutschland wäre an der Reihe, richtig. Die Frage aber ist, ob Jens Weidmann genügend Stimmen bekäme, denn jedes Land hat maximal eine Stimme. Es kann sogar passieren, dass Deutschland gar keine Stimme in der Abstimmung des EZB-Rates hat, obwohl wir 25 Prozent der Bankanteile halten. Wenn Bundeskanzkerin Angela Merkel ihren Job gut macht, dann könnte Weidmann trotzdem kommen. Das Problem ist, dass die Südländer seit dem Brexit tendenziell die Mehrheit haben.

Warum haben die Südländer so große Probleme?
Müller: Das eigentliche Problem ist nicht, dass die Menschen arm wären. Im Gegenteil. Sie finden im Süden Europas deutlich größere Vermögen als in Deutschland, da sie bei uns durch die Weltkriege geschrumpft sind. Das Problem liegt in einem deutlich unterentwickelten Steuerapparat. Die Südländer schaffen es einfach nicht, genügend Steuern einzutreiben. Dort gibt es Ärzte und Anwälte, die Porsche fahren, aber kein Einkommen haben. Das könnte alles geregelt werden, wird es aber nicht. Darum sage ich, eine Banken-Union löst das Problem nicht, sondern macht es noch schlimmer.

Ein EU-Finanzminister würde wohl auch nicht helfen?
Müller: Wir brauchen kein EU-Finanzministerium, sondern ein einheitliches Verständnis, worauf und wie man Steuern erhebt. Die großen Vermögen sind nicht in Deutschland. Wenn die alle mitzahlen würden, dann hätten wir keine Probleme mehr. Solange es aber Schlupflöcher gibt, wird es nicht funktionieren mit Europa. Es ist eine deutsche Besonderheit, dass wir in der sozialen Marktwirtschaft aufgewachsen sind, die ich sehr schätze. Momentan aber entfernen wir uns von ihr. Unser größter Fehler aber ist, zu glauben, wir könnten die soziale Marktwirtschaft nach Europa transferieren. Dabei transferieren wir nur den Gedanken und gehen davon aus, dass Europa genauso tickt wie wir. Das tut es aber nicht. Nehmen wir mal den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er will keine soziale Marktwirtschaft. Er will, dass deutsche Banken für die französischen haften.

Wie für Griechenland ...
Müller: Ja, Griechenland war bei der ganzen Welt verschuldet, auch bei deutschen, vor allem aber bei französischen Banken. Es wurde nicht Griechenland gerettet, vielmehr war das eine verkappte Bankenrettung. Das Problem wurde nur in die Zukunft verschoben. Es wäre sinnvoller gewesen, betroffene deutsche Banken zu retten, aber dann wären Frankreichs Banken unter die Räder gekommen. Jetzt schwächelt die Deutsche Bank, und die französischen stehen gut da. Letztlich läuft das alles auf eine Transferunion hinaus, die wir nicht wollen.

Geben Sie eine Prognose ab: Kommt die Transferunion?
Müller: Ich hoffe nicht, dass sie kommt. Aber ich befürchte es. Zum Teil haben wir sie schon, da wir unseren Kunden keine Zinsen zahlen, aber Kontoführungsgebühren verlangen. Letztlich zahlen die deutschen Sparer also schon. Uns gelingt es noch, unseren Anlegern keine negativen Zinsen abzuverlangen, obwohl wir selbst bei der EZB schon 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen müssen. Wenn das keine Transferunion ist? Es geht ganz klar in Richtung Transferunion, damit die EZB nicht in die Staatsfinanzierung gehen muss. Sie kann schon bald keine Staatsanleihen mehr aufnehmen, also werden möglicherweise die Modalitäten geändert. Aber irgendwann ist das Ende erreicht. Die EZB peilt eine Geldentwertung von zwei Prozent jährlich an. Das merkt der Verbraucher kaum, und der Staat entschuldet sich über die Jahre. Wir sind heute schon nahe der Stagflation - die Zinsen sind niedriger als die Geldentwertungsrate von derzeit 1,7 Prozent. Was wir noch nicht haben, ist eine stagnierende Wirtschaft.

Kommt die europäische Einlagensicherung EDIS, oder haben Sie noch Hoffnung?
Müller: Ich hoffe sehr, dass sie nicht kommt. Unsere eigene Institutseinlagensicherung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist sehr, sehr gut. Sie hat keine Begrenzung, dagegen gibt es in Europa Banken mit ganz geringer Sicherung. Ich möchte unsere Einlagensicherung daher nur sehr ungern mit anderen europäischen Banken teilen. Denn das hieße, dass wir mit dem, was wir für unsere Kunden zurückgestellt haben, beispielsweise portugiesische und spanische Banken retten müssten.

Wie lange wird es den Euro noch geben?
Müller: Ich glaube nicht, dass der Euro heute oder morgen in Schieflage geraten wird. Dazu sind die Interessen noch viel zu stark, als dass Fliehkräfte wirksam werden könnten. Aber wenn ich 200 Jahre zurückschaue, da sind viele Währungen letztlich auf den Wert zugegangen, den sie tatsächlich verkörpern, nämlich null. Ich hoffe sehr, dass die Politiker und verantwortlichen Personen dies rechtzeitig erkennen, damit der Euro nicht eines fernen Tages dasselbe Schicksal erleidet. Aktuell aber glaube ich, dass er stabil ist. Die D-Mark war sehr stabil und diese Beständigkeit ist noch da. Allerdings nur, weil man sich darauf verständigt hat. Die Staaten werden letztlich Wege finden, wie sie ihre Schulden über Geldentwertung, höhere Abgaben oder beispielsweise ein Lastenausgleichsgesetz wieder loswerden.

Das Gespräch führte

Andrea Hammerl
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