Bertoldsheim
Blinder Passagier

Die Mäusegerste lässt sich zu neuen Standorten tragen

18.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Ein wenig beachtetes kleines Pflänzchen: die Mäusegerste. Im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen dürfte sie recht selten sein. - Foto: Sorg

Bertoldsheim (DK) Es ist ein zartes, wenig beachtetes Pflänzchen, dessen Früchte höchstens eine Maus ernähren könnten: die Mäusegerste.

Die überwiegend zur Tierfütterung angebaute Wintergerste ist seit Wochen im Bunker und die im Frühjahr ausgesäte, eher für die Malzgewinnung wachsende Sommergerste wird oft als Braugerste verwendet und seit mindestens zwei Jahrtausenden auch zu Nahrungszwecken (Gerstenbrote). Sie ist seit 14 Tagen ebenfalls im Trockenen. Jetzt steht nur noch an offenen, nährstoffreichen Wegrändern in den dörflichen oder städtischen Bereichen, ein vom Kehrbesen nicht erreichtes zartes, oft nur 20 Zentimeter hohes einjähriges Gras. Reich ist siemit Grannen ausgestattet, mit drei Ähren am Halm, die Mäusegerste (Hordeum murinum). Das Korngewicht dieser Wildform ist weit weniger als ein Zehntel dessen der heutigen Kultursorten. Die Mäusegerste, ursprünglich auf dem Balkan beheimatet, hat den Namen wohl von ihrem kleinen Korn, das gerade noch als Mäusefutter ausreichen sollte.

In der Altstadt von Neuburg steht vereinzelt ein kleiner Horst dieser eher wärmeliebenden Ruderalpflanze; auch am östlichen Ortsrand von Bertolds-heim gibt es ein Vorkommen dieser Art.

Im sogenannten Botanischen Informationsknoten der Flora von Bayern sind für den Raum Regensburg und im etwas wärmeren mittelfränkischen Becken einige Nachweise aufgeführt. Für den Landkreis Neuburg-Schrobenhausen wurde bisher noch kein Vorkommen in diese Übersicht aufgenommen.

In einigen größeren Städten und in wärmeren Regionen Ostdeutschlands, auch entlang der Autobahnen, zeigt die Übersichtskarte "flora-web" des Bundesamtes für Naturschutz viele Nachweise dieser längst heimisch gewordenen, nicht geschützten Pflanzenart.

Der Botaniker unterscheidet bei diesem "ährentragenden" Süßgras fünf Unterarten. Südlich der Alpen hat der kundige Urlauber sicher in Städten und entlang größerer Straßen die sogenannte Mittelmeerunterart der Mäusegerste entdeckt, die etwas buschigere Ähren und etwas kürzere Grannen hat, die auch mal in streifenähnlichen Reinbeständen dort wächst.

Die Mäusegerste wird erst mit dem Ausschieben der Ähren erkennbar und wenn sich im August langsam die Ähren in 30 bis 40 Einzelteile aufgelöst haben, ist sie nahezu wieder verschwunden.

Die Pflanzenwelt ist immer im Wandel, ob bei den Kulturpflanzen durch gezielte Anpflanzung, Zucht und Auswahl nach den Wünschen der Gesellschaft. So erfahren die Getreide Dinkel, Einkorn und Emmer, Urformen des Weizens, als Brot- und Braugetreide im bio-logischen Landbau eine gewisse Renaissance. In der Natur wandelte sich die Pflanzenwelt bis vor Jahrzehnten eher langsam, jetzt aber durch den deutlichen Temperaturanstieg viel rascher. Zudem sind die Transport- und Reisetätigkeit des Menschen, bei der viele Samen von Wildpflanzen als blinde Passagiere einfach anhaften und mitreisen, Gründe für das vermehrte Auftauchen sogenannter neuer Pflanzen, den Neophyten. Die leichten Samen der Mäusegerste mit ihren kleinen Widerhaken an den Grannen heften sich an der Kleidung oder auch an Tieren an und tauchen dann an geeigneten Ecken und Rändern wieder auf, wo sich die Bedingungen für diese Reliktpflanzen eignen. Entlang von Straßen übernimmt auch der Fahrtwind - ähnlich wie bei dem gelben Schmalblättrigen Kreuzkraut - verstärkt die Ausbreitung dieser Arten.

Ob nun Mäuse auf das Angebot der eher dürftigen Samengröße der Mäusegerste angewiesen sind, darf bezweifelt werden, haben aber dieser zierlichen Pflanze einst ihren Namen verliehen.