stadtgeflüster
Gefallene Mädchen und andere Risiken

13.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:34 Uhr

(rh) Für den verantwortungsvollen Lokalreporter steht der Dienst am Allgemeinwohl und damit am Leser stets an allererster Stelle.

Persönliche Eitelkeiten und mondäne Verstiegenheiten sind dem Berufsbild des Nahbereichsjournalisten absolut fremd. Nur manchmal, ohne Zeugen, muss sich der geübte Chronist doch eingestehen, dass es halt einen gewissen Nutzwert für ihn und die Zeitung hat, wenn die Stadtregierung sich bei bestimmten Themen etwas mehr Zeit lässt, um nicht zu sagen: manche lästigen Aufgaben ungelöst vor sich herschiebt. Schwer kritikwürdige Versäumnisse der Politik eröffnen somit der Tageszeitung plötzlich Möglichkeiten, die ihr sonst leider verschlossen blieben, nämlich alte, gut abgehangene Texte einfach kostengünstig noch einmal zu veröffentlichen.
Zum Beispiel folgende Glosse, die vor genau 30 Jahren, am 14. April 1988 im DK-Lokalteil erschien: "Der arme OB. Im Grunde haben er und seine Ingolstädter so ein schönes Theater dastehen, alle Welt beneidet sie um das architektonische Meisterwerk, der Intendant sorgt daselbst für volle Häuser und gute Kritiken, der Stadtrat öffnet alljährlich sein Füllhorn, kurz, alles wäre eitel Sonnenschein am Musentempel, wenn - ja, wenn nicht die FDP ein ums andere Mal dem Oberbürgermeister auf dem glatten Theaterparkett ein Bein stellen würde. Ob vor, während oder nach der Faschingssaison: Die FDP wird nicht müde, auf die Sturzgefahr in Festsaal und Foyer hinzuweisen, sie macht sich in Briefen an die Rathausspitze zur Anwältin der (im Stadttheater) gefallenen Mädchen. Nun bedeuten für den OB die Bretter des Theaters gewiss nicht die Welt, aber immerhin so viel, dass er den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen möchte, seine Verwaltung habe nicht alles Menschenmögliche unternommen, um die Verletzungsgefahr zu bannen. Festsaal und Foyer, schrieb der Oberbürgermeister an die FDP, seien neu versiegelt worden, die Materialien für Versiegelung und Oberflächenbehandlung wurden in Abstimmung mit Parkettgutachter, Produkthersteller und Reinigungsfirma festgelegt. Das Ergebnis, triumphiert der OB, war gut, es war sogar so gut, dass im Bereich der Tanzfläche die Oberfläche einer Tanzgruppe zu stumpf war. "
So weit die erste Hälfte der Glosse im original Wortlaut und mit dem gleichen Autorenkürzel wie dieses Stadtgeflüster. Nur die Namen der Akteure, Peter Schnell und Sigrid Michaelis, wurden weggelassen. Die frühere FDP-Stadträtin lebt heute hochbetagt in München, aber ihr Anliegen - ein pfleglicher Umgang mit dem wertvollen Theaterbauwerk - bleibt wohl in Ingolstadt ewig jung. Vor 30 Jahren endet die Glosse in einem wilden Albtraum des OB: Aus dem Festsaal überträgt das ZDF live die Europameisterschaften in den lateinamerikanischen Tänzen. Die Sendung hat kaum begonnen, da fällt ein Turnierpaar nach dem anderen auf die Nase. Schirmherr Peter Schnell ist im ganzen Land blamiert.

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