Ingolstadt
Migranten hoffen auf mehr Anerkennung

16.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

Bildungsorientiert, allen Vorurteilen zum Trotz: Fadime Senel-Beydilli (l.) übt mit Melisa und Merzan in der Ingolstädter Tigris-Akademie für die Schule. Türkische Kulturvereine hoffen sehr, dass ihre Sprache in Bayern bald die Weihen der gymnasialen Bildung erfährt.? Arch - foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Türkischunterricht an einem Gymnasium – dieses Ziel verfolgt die Stadtratsfraktion der Grünen seit Jahren. Jetzt hat das Kultusministerium den Anstoß gegeben und den Direktoren die Entscheidung überlassen. Doch das Interesse hält sich arg in Grenzen. Der Bildungsverein Atlantik bedauert das.

Für ministerielle Verhältnisse ging es richtig rasant: Vor drei Jahren starteten die drei Stadträtinnen der Grünen ihre Initiative, Türkisch als Fremdsprache an einem Gymnasium anzubieten, um junge Migranten gezielt zu fördern und mehr von ihnen zum Übertritt zu bewegen. Vor allem Barbara Leininger, Oberstudienrätin und Vertreterin der Fraktion im Kulturausschuss, trieb das Projekt mit Beharrlichkeit voran, verfasste Brief um Brief. Vor zweieinhalb Jahren immerhin antwortete der damalige Kultusminister Siegfried Schneider, er sei der Idee "aufgeschlossen", am Gaimersheimer Gymnasium die Fächer Russisch oder Türkisch zu etablieren; daraus wurde nichts.

Heuer gelang ein Teilerfolg: Das Ministerium fände es "sehr erfreulich", wenn an einem Ingolstädter Gymnasium Türkisch unterrichtet werden würde. Ein sehr ermutigendes Signal, findet Leininger. Das Problem dabei: "Es geht nichts weiter."

Dabei müssten so schnell wie möglich die Weichen gestellt werden, um den Unterricht im nächsten Schuljahr zu starten. Das Hindernis liegt für sie hier: "Das Ministerium überlässt die? Entscheidung den Gymnasien", dort aber halte sich das Interesse leider in Grenzen. "Die verweisen wieder an das Ministerium – das geht wie bei einem Ping-Pong-Effekt hin und her."

Kulturreferent Gabriel Engert hat das Schreiben des Kultusministers an die vier staatlichen Gymnasien weitergeleitet. Mit mäßiger Resonanz. Zwei Absagen hat er schon erhalten (Apian, Scheiner), zwei Antworten stehen noch aus. "Ich würde es mit Blick auf unsere vielen türkischen Mitbürger sehr begrüßen, wenn eine Schule Türkisch anbietet", sagt Engert. "Außerdem würde die Sprache durch die Aufnahme in den Kanon des Gymnasiums aufgewertet."

Der Kulturreferent verteidigt die Initiative gegen ein Vorurteil: "Es stimmt nicht, dass damit mangelnde Deutschkenntnisse verschleiert werden sollen." Denn das Ministerium lasse Türkisch einzig als – so der Fachbegriff – "spät beginnende Fremdsprache" ab der zehnten Klasse zu (die gegen die erste oder zweite Fremdsprache eingetauscht werden kann). "Und wer auf dem Gymnasium bis in die Zehnte kommt", so Engert, "kann hervorragend Deutsch."

Peter Bergmann, Direktor des Christoph-Scheiner-Gymnasiums, begründet seine Absage so: "Bei uns hat sich Spanisch als spät beginnende Fremdsprache sehr bewährt. Das wählen jedes Jahr bis zu 20 motivierte Schüler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich diese Gruppe noch splitten lässt, denn dann werden die Kurse zu klein."

Grundsätzlich ist Bergmann der Meinung, "dass es die Integration behindert, wenn sich türkischstämmige Schüler zu viel in türkischen Gruppen befinden". Diese Erfahrung sehe er immer wieder bestätigt.

Barbara Leininger argumentiert dagegen auch mit der Signalwirkung des Türkischangebots. Zu den verbreiteten Vorurteilen zählt sie den Einwand von Skeptikern, wieso türkischstämmige Gymnasiasten eigentlich Türkisch lernen sollten. Sie erwidert: "Viele beherrschen die Sprache nicht grammatikalisch richtig. Außerdem soll kein rein muttersprachlicher Unterricht stattfinden, vielmehr ist ein Ziel auch die Vermittlung von Kultur und Literatur der Türkei.

Önder Mete vom Bildungsverein Atlantik Donau-Schüler-Eltern freut es sehr, "dass man jetzt versucht, der Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund entgegenzuwirken", denn es sei "immer besser vorzubeugen als zu heilen". Es würde türkischen Kindern "viel Anerkennung und damit Selbstbewusstsein vermitteln, wenn sie ihre Fähigkeiten besser zur Geltung bringen könnten".

Das Nein der Oberstudiendirektoren enttäuscht Mete daher sehr. Vermutlich plage sie die Sorge, als "Türkengymnasium" an Prestige zu verlieren, glaubt er und hält dagegen: "Der Akademikermangel wird weiter zunehmen." Mehr türkischstämmige Kinder an den Gymnasien würden zudem die Integration voranbringen. "So könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen". Nicht zuletzt: Die Türkei entwickle sich auf allen Gebieten rasant. "Hier liegt ein Wachstumsmarkt, der auch für Deutsche sehr interessant ist."