Ingolstadt
Die letzte Hoffnung der Mittellosen

18.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:10 Uhr

Er ließ die Millionen verschwinden: der Vermögensberater kurz vor seinem Tod. Vermutlich nahm er das Geheimnis mit ins Grab. - Foto: kx

Ingolstadt (DK) Seit dem Tod eines Ingolstädter Vermögensberaters sind mehr als zwei Millionen Euro von 31 Kunden verschwunden. Die Opfer klagen gegen die Firma, in deren Namen die Verträge abgeschlossen wurden. Sie wollen Schadenersatz. Am Montag wird der Fall in der zweiten Instanz verhandelt.

Sie müssten jetzt wieder bei Null anfangen, sagen die einstigen Kunden des Ingolstädter Finanzberaters, der sie um ihr Vermögen gebracht hat. Mehr als zwei Millionen Euro sind seit dessen Tod im Herbst 2007 spurlos verschwunden. Doch das mit der Null erscheint noch milde ausgedrückt: Einige der 31 Ingolstädter, die Gerald F. (Name geändert) ihre Ersparnisse und zum Teil ihre Lebensversicherungen anvertraut haben, sind in ein bedrohliches Minus gestürzt und bis heute nicht mehr hinausgekommen. Jetzt setzen sie alle Hoffnungen auf den kommenden Montag. Da wird das Oberlandesgericht München entscheiden, ob es Schadenersatz gibt oder nicht.

Die Opfer prozessieren gegen die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG), in deren Namen F. einst die Verträge abgeschlossen hatte. Doch der größte Finanzdienstleister der Republik weist jede Mitverantwortung von sich. Mehrere Klagen hat das Amtsgericht Ingolstadt schon abgeschmettert. Am Montag wird der Fall nun erstmals in zweiter Instanz verhandelt. Der Urteilsspruch des Oberlandesgerichts dürfte maßgeblich für die weiteren richterlichen Entscheidungen sein.

Die Kläger sehen der Sitzung hoffnungsvoll entgegen. Sie argumentieren: F. habe die Anlageverträge in den Geschäftsräumen der Ingolstädter DVAG-Dependance an der Herkommerstraße unter einem DVAG-Briefkopf abgeschlossen und sich auch sonst mit allen möglichen Insignien des bekannten Unternehmens, das unter anderem von Michael Schumacher beworben wird, oft und gerne geschmückt. So enthielt die Mail-Adresse des Finanzberaters den Namen DVAG, ferner posierte er in deren Kundenzeitschrift – 2001 gar als stolzer "Gruppenleiter des Monats". Heute sagen die Kunden: "Wir waren immer der festen Überzeugung, dass wir die Verträge direkt mit der DVAG abschließen."

Mehrfach vorbestraft

Ein zentrales Argument der Kläger kreist um die Vorstrafen des Beraters. Er war mehrmals wegen Betrugs verurteilt worden, zuletzt zu zehn Monaten auf Bewährung, bevor er in den Dienst der DVAG trat. "Die hätten unbedingt sein polizeiliches Führungszeugnis prüfen müssen!", klagt eine Frau, die auch ihr Vermögen verloren hat und am Montag in München auf eine Entschädigung hofft. Ferner ist im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen bekannt geworden, dass F. die DVAG-Niederlassung zunächst auf seine Ehefrau hatte laufen lassen, bis das Ende der Bewährungsfrist erreicht war.

Die DVAG will sich mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. Vor Gericht hatte deren Anwalt argumentiert: F. sei ein selbstständiger Handelsvertreter gewesen und mitnichten ein Angestellter der DVAG. Damit bestehe keinerlei Schadensersatzpflicht.

Gerald F., der von allen, die ihn kannten, als charmant und angenehm bodenständig beschrieben wird, pflegte ein enges und freundschaftliches Verhältnis zu seinen Kunden. Man feierte und verreiste oft zusammen. Er köderte die Anleger mit der Aussicht auf "Spezialdepots der DVAG", auf die nur wenige Mitarbeiter Zugriff hätten. Entsprechend hoch sei die Rendite.

Im September 2007 ist F. im Alter von 49 Jahren einem Herzinfarkt erlegen. Die Ingolstädter Staatsanwaltschaft hat darauf nach den verschwundenen Millionen suchen lassen – mit großem Aufwand, wie alle Beteiligten bestätigen, doch ohne Ergebnis. "Unsere Untersuchungen haben zwar einige Ansatzpunkte ergeben", hatte Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle berichtet, nachdem der Fall publik geworden war. "Aber wir können nichts hundertprozentig beweisen." Die Recherchen zielten auf Mittäter und Spuren der zwei Millionen Euro. Jedoch: "Das hat alles nichts ergeben", sagte Herrle.

Früherer Kollege erzählt

Inzwischen hat sich ein langjähriger Kollege von Gerald F. auf eine Anfrage des DK zu dem Fall geäußert. Mit Hinweis auf das laufende Verfahren will der Berater der DVAG seinen Namen noch nicht in der Zeitung lesen. Seiner Ansicht nach hätte den Kunden einiges mysteriös vorkommen müssen, vor allem F.s Wunsch nach Bareinzahlungen. "Es ist bei der DVAG verboten, Bares anzunehmen. Bei uns wird alles überwiesen."

Ihn habe auch einiges an F.s Finanzgebaren gewundert. "Ich sah seine Geschäftszahlen und wusste: Es lief nicht gut." Natürlich habe er den Kollegen darauf angesprochen. "Der Gerald hat dann immer gesagt, er komme über die Runden, weil er eine Erbschaft gemacht hat." Hinweise auf unkorrekte Vorgänge habe er nie bemerkt, beteuert der nach wie vor für die DVAG tätige Anlageberater. Geahnt habe er auch nichts. "Man kann in keinen reinschauen."