Baum als Zeichen für den Lebenszyklus

20.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:40 Uhr

Zum Artikel "Baumfrevel am Friedhof" (DK vom 6. März), in dem es um die angebohrte Linde in Wettstetten geht:

Es war nicht die Gemeindevertretung von Wettstetten, die den Fall einer Linde publik gemacht hat. Mir sind die Bohrlöcher bei einem meiner regelmäßigen Grabbesuche aufgefallen, und ich habe dies umgehend dem Bürgermeister sowie der örtlichen Pressevertretung gemeldet.

Die Gemeinde, so erfährt man nun, hatte schon drei Monate vorher die ersten Löcher bemerkt, verliert darüber kein Wort, schaut vielmehr in aller Stille zu, bis der Täter sein "Werk" vollendet hat? Das macht mich einigermaßen sprachlos. Eine Strafanzeige, wie medienwirksam angekündigt, ist auch fast zwei Wochen nach Bekanntwerden noch nicht erfolgt. So festzustellen nach polizeilicher Auskunft.

Mit Bäumen verhält es sich wie mit Menschen, sie haben Eigenschaften. Nicht selten entscheidet ein subjektiver auf Eigennutz bedachter Sinn des Betrachters, ob die jeweiligen Eigenschaften als gut oder schlecht bewertet werden. Über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten ist an unserem Friedhof etwas entstanden, das symbolisch den Lebenszyklus wiedergibt. Das erwachende Leben im Frühling mit den folgenden Jahreszeiten bis zur Stille des Winters. Wer diesem Gefühl folgt, wird das Laub nicht als "Dreck" empfinden, sondern in dankbarer Erinnerung vom Grab räumen.

Dieses Bewusstsein, das muss man annehmen, wird nicht mehr weitergetragen. Das zeigen die Baumfällungen von Dutzenden kerngesunder Bäume im Ortsbereich ebenso wie die im vergangenen Dezember nun begonnene Abholzung am Friedhof. Was einst wohlüberlegt geplant wurde, überlässt man schlicht Akteuren, deren Wissen und Verständnis sich wohl darin erschöpft, wie man aus einem Baum Kleinholz macht. Nur so kann man sich das sichtbare Ergebnis sowohl bei den Urnenwänden an der Stammhamer Straße wie auch entlang des Reauer Wegs erklären. Will man in die kreischende Motorsäge hinein noch versuchen, die Tätigkeit zu hinterfragen, dann tönt es noch lauter zurück: "Das geht Sie gar nichts an. Die gehören alle raus."

Bäume dieser Art benötigen fünfzig Jahre, um ihre Ästhetik und ihren ökologischen Wert zu entfalten. Und sie können noch ebenso lange den Ort, an dem sie stehen, bereichern. Wo sonst, als auf öffentlichem Grund, bietet sich so viel Platz für ein Naturschauspiel, wie man es (noch) an der Gangolfkapelle betrachten kann? Wer diesen Wert erkennt und anerkennt, der findet langfristig auch für den Friedhof eine Lösung, die beiden Parteien dient. Das gelingt aber nur mit der dafür erforderlichen Empathie.

Margit Liebert, Wettstetten