"Inshallah – so Gott will"

04.04.2008 | Stand 03.12.2020, 6:01 Uhr

Willkommene Sitzgelegenheit: Den Erklärungen zur Geschichte der blauen Moschee in Istanbul lauschte die Delegation aus Ingolstadt um Oberbürgermeister Alfred Lehmann (zweiter von rechts) auf einem weichen Teppich. - Foto: Lichtenegger

Ingolstadt (DK) Völlig neue Blicke auf die Kultur und das religiöse Leben in der türkischen Metropole – das ermöglichte der Großmufti von Istanbul, Mustafa Cagrici, einer Delegation aus Ingolstadt. Vier Tage lang hatten Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Religion die Möglichkeit, sich ein Bild zu machen.

Wo liegt der Unterschied im Stadtbild zwischen Istanbul und Ingolstadt? Abgesehen von der schieren Größe – immerhin leben in der Stadt am Bosporus mehr als 100 Mal so viele Menschen wie in Ingolstadt – in der Zahl der Minarette. Trotzdem: In Ingolstadt steht inzwischen die größte Moschee Bayerns mit zwei Minaretten und angeschlossenem Kulturzentrum. Diese Moschee, die die Türkisch Islamischen Gemeinde zu Ingolstadt gebaut hat, war der Anlass für den Besuch einer Ingolstädter Delegation in Istanbul. Der Großmufti wollte sich auf diese Art für die Toleranz und das Verständnis der Ingolstädter bedanken, mit der sie dem Bau der Moschee im Norden der Stadt begegneten. Für 18. Mai ist deren Eröffnung geplant – als Ehrengast ist der Großmufti eingeladen.

Das viertägige Programm, das die Gäste um Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) zu absolvieren hat, hat Marathonqualitäten. Da wünscht man sich schon einmal, auf einem der vielen Sofas Platz nehmen zu dürfen, die im Topkapi-Palast gezeigt werden. Da hofft man, dass die Erklärung der blauen Moschee, die man im verschränkten Sitz auf weichen Teppichen anhört, ruhig noch länger dauert. Oder dass der holprige, rampenähnliche Aufstieg im Turm der Hagia Sophia doch endlich zu Ende sein möge. Die Besuche des großen Basars sowie des ägyptischen und des Gewürzbasars werden in die so genannte "freie Zeit" verlegt und dann mehr oder minder im Laufschritt absolviert.

Doch das touristische Programm ist nur der eine Teil. Die Gespräche mit entscheidenden Persönlichkeiten, die das Leben in dieser Metropole prägen, der andere, eigentlich spannendere. Eröffnen sie doch Einblicke in eine Stadt, die in ihrer langen Geschichte von Byzanz über Konstantinopel und letztlich als Istanbul Geschichte schrieb und schreibt.

Bartholomaios I. heißt der Patriarch, das geistliche Oberhaupt der noch rund 3000 orthodoxen Christen der Stadt. Er tut sich anfangs schwer mit den Gästen, die auf Einladung des Großmufti und nicht auf seine in der Stadt sind. Doch dann taut er auf und sagt doch etwas über das Verhältnis der Christen zu den Moslems.

Vergebliche Briefe

Über 80 Briefe hat der Patriarch, der seit 1994 an der Spitze der Christen steht und fließend deutsch spricht, an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine Vorgänger geschrieben. Hat nachgefragt, warum seine griechischen Priester nur Touristenvisa bekommen und nach drei Monaten ausreisen müssen, nur um am nächsten Tag wieder einreisen zu können. Hat nachgefasst, warum ihn der Staat per Strafverfahren den Titel "Patriarch von Konstantinopel" als Amtsanmaßung verbieten möchte. Und 80 Mal keine Antwort erhalten. Münsterpfarrer Isidor Vollhals, der das Treffen organisiert hat, nimmt diese Fragen mit ins Gespräch mit dem Großmufti.

"T.C. Istanbul Müftülügü" – dieser Schriftzug zeigt an, dass hinter dem von Säulen flankierten Tor der Großmufti residiert. Mustafa Cagrici vermittelt den Eindruck eines weltmännisch gewandten Diplomaten. Bereits in seiner Einführung lässt er keinen Zweifel an der ihm zustehenden Bedeutung: "Hier, von diesem Gebäude aus, wurde über Jahrhunderte hinweg das Schicksal der moslemischen Welt bestimmt!" Dann signiert er den Koran, der für die Moschee in Ingolstadt vorgesehen ist.

Beim Mittagessen – osmanische Gemüsesuppe, Hammelhack in Blätterteig und süße Nachspeise – gibt er einen tiefen Einblick in seine politischen Gedanken. "Wer uns nicht haben will, den müssen wir auch nicht haben." Und: "Wenn unsere ausgestreckte Hand nicht angenommen wird, so werden wir sie auch zu gegebener Zeit zurückziehen". Das sind harte Worte zum Verhältnis zwischen der Türkei und der EU, die Cagrici aber geschickt abschwächt: "Aber noch gibt es keinen Grund, dass wir uns über diesen Schritt Gedanken machen." Gleichzeitig versucht er, die Angst vieler Türken darzustellen: "Ist die EU in ihrer heutigen, moralischen Verfassung überhaupt in der Lage, uns bei einem für uns sehr wichtigen Werteerhalt zur Seite zu stehen"

Deutliche Worte

Das sind Aussagen die nachdenklich machen. Hier sitzt ein Mann, der sich der Staatsgröße und Kulturmacht der Türkei bewusst ist. Der sich darüber freut, dass es in Deutschland mit Ingolstadt eine Stadt gibt, in der der Bau einer Moschee ohne Diskussionen und sonst üblicher Debatten möglich ist – für ihn längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Er freut sich darauf, zur Eröffnungsfeier der Ingolstädter Moschee nach Bayern kommen zu dürfen. "Inshallah – so Gott will", lobt er den Allmächtigen und verabschiedet seine Gäste Hände schüttelnd. Die Fragen, die Isidor Vollnhals vom Patriarchen aufgetragen bekam, lässt er unbeantwortet: "Da müssen Sie die entsprechenden Kirchen fragen – wir haben mit unseren eigenen Leuten schon Probleme genug."

First Deputy Chairman of the City Council – so bezeichnet sich Ahmet Selamet auf seiner Visitenkarte und ist damit nichts weniger als der erste Bürgermeister der Stadt Istanbul. Allerdings nicht Oberbürgermeister, sondern der erste der 74 weiteren Bürgermeister. In einem kleinen Sitzungszimmer sitzt ein Vollblutpolitiker. Einer, der sich bei den Verhandlungen mit einem Konsortium von Bauunternehmern genauso sicher fühlt wie auf der Bürgerversammlung am Galata-Turm, der Freundlichkeit und Verhandlungsgeschick in sich vereint. Schmunzelnd erzählt er, dass die 21 Tochterunternehmen der Stadt allesamt Gewinne machen. Aber wie das funktioniert, geht in einem langen Monolog unter. Auf Audi angesprochen, lächelt er: Diese Autos seien für einen Istanbuler Bürgermeister zu teuer. Selbst ein nicht türkisch sprechender Beobachter kann sich angesichts der dabei gespielten Mimik vorstellen, dass dies wohl nicht ganz den Tatsachen entspricht. Als besondere Ehrerbietung wird gewertet, dass Ahmet Selamet die Gruppe aus Bayern ins Foyer begleitet und einzeln per Handschlag verabschiedet. Auf die Einladung nach Ingolstadt angesprochen, ertönt wieder das alles sagende "Insallah – so Gott will". Ein Gruß und eine zeitliche Bestimmung, die keine ist.

Was der Besuch Istanbuls bei jedem Einzelnen der Gruppe auslöst, welche Überlegungen die Gespräche nach sich ziehen, das ist so unterschiedlich wie die Zusammensetzung der Reisegruppe selbst. Wirtschaftlich gesehen haben die Reisenden eine wahre Boomtown erlebt – ihre Einwohner modern, aufgeschlossen – vergleichbar mit vielen anderen europäischen Großstädten. Aber geführt und geleitet von einem politischen und religiösen "Management", dessen Einschätzung umso schwerer fällt, je mehr wir von ihm erfahren dürfen.