Wo der Brunnen ewig rauscht

05.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:42 Uhr

Wohl bekomm’s: Akten satt plus Erfrischungsgetränk für den Chef im Ingolstädter Rathaus.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden in Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DONAUKURIER. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Im dritten Teil der Serie geht es heute um das OB-Büro zwischen 8 und 9 Uhr.

"Sie haben", sagt die OB-Sekretärin zum Besucher vom DK, "eine ruhige Zeit erwischt. Das Telefon schweigt, das ist nicht der Normalfall." Umso lauter erscheint das Rauschen, das vom Brunnen des Rathausplatzes heraufdringt, als hätten die Architekten bei der Platzrenovierung zwischen Moritzkirche und Sparkasse einen künstlichen Wasserfall installiert. "Da brauchen S’ eine starke Blase", kommentiert Büroleiter Siebendritt die permanente Geräuschkulisse.

Aber man gewöhnt sich eben an alles. Auch daran, dass man wie die beiden Stadtbediensteten den ganzen Tag, manchmal auch den Abend, mit dem Oberbürgermeister der Stadt Ingolstadt auf engstem Raum zusammenarbeitet. "Wir versuchen", so lautet die Morgenparole Siebendritts, "die Stunde zwischen acht und neun Uhr möglichst von externen Terminen freizuhalten, da gehen wir meist das Tagesprogramm kurz gemeinsam durch."

Genau das steht jetzt an. Alfred Lehmann – inzwischen eingetroffen – wartet schon an seinem großen Arbeitstisch aus Carraramarmor, einem Erbstück seines Vorgängers. Seine rechte Hand bringt einen Schwung Einladungen, Termine, Bittbriefe, Beschwerden, Aktennotizen. "Für den Termin mit Genosko und Süßbauer brauch’ ich zwei Stunden", weist der OB den Büroleiter an, ein Gespräch mit den Stadtwerken abzusagen. "Für das Jagdgeschwader müsste ich eine Vertretung haben", bemerkt er beim Blick auf ein Schreiben mit militärischem Briefkopf. Ein anderer amtlicher Vorgang ist ganz dazu angetan, dem Rathauschef den Start in den Tag zu erleichtern: Da hat ein Bürger aus der Wiechertstraße geschrieben, dass die Verkehrsschilder endlich so aufgestellt wurden wie gewünscht. "Der Herr", weiß Siebendritt, "ist jetzt ganz zufrieden."

Nie zufrieden ist Albert Wittmann. Das ist sozusagen berufsbedingt, weil ein Kämmerer nie zufrieden sein darf. "Da ist ja richtig was los", begrüßt er kurz vor halb neun den OB und seine Mitarbeiter. Die Bürgermeister ziehen sich für zehn Minuten zu einem Vieraugengespräch zurück.

Während hinter ihnen die Tür zugeht, klingelt im Vorzimmer das Telefon. "Siebendritt, Stadt Ingolstadt, Grüß Gott." Das Büro von Peter Gietl ist in der Leitung. Aha, der Koalitionspartner. "Der Dr. Lehmann hat gerade eine Besprechung, wir rufen in zehn Minuten zurück." Was der FW-Chef wohl auf dem Herzen hat? Sind vielleicht beim Familienbeauftragten noch einige Fragen offen? Das bleibt das Geheimnis der Koalitionäre.

Gar nicht mehr geheim ist der bevorstehende Wechsel von Christian Siebendritt, der auf dem Sprung ins Hauptamt ist und gerade seinen Nachfolger Michael Stumpf (34) einweist. "Ich hab’s auf keinen Fall bereut", versichert der Noch-Büroleiter von OB Lehmann, "aber nach sechs Jahren will ich wieder was Neues machen." Anders seine Kollegin Frank, die dem OB treu bleiben möchte: "Bei uns gibt es nicht so häufig einen Wechsel wie bei den jungen Beamten."

Für die genannten "jungen Beamten" ist es eine Selbstverständlichkeit, jeden Tag mit frischem Hemd, Anzug und Krawatte zum Dienst anzutreten, auch wenn’s am Anfang schwerfällt. "Im Technischen Rathaus", sagt Michael Stumpf, der von dort kommt, "ist man da relativ leger." Aber wenn der OB einen in sein Büro ruft . . .

Mittlerweile ist die Leuchtanzeige ("Bitte warten") neben der Tür des Chefzimmers mehrmals an- und ausgegangen. Die Stadtreferenten Helmut Chase und Herbert Lorenz geben sich die Klinke in die Hand. Um Neun muss Alfred Lehmann los, gleich tagt der Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft.

Bevor Christian Siebendritt seinem Nachfolger das Feld überlässt, sagt er noch einen druckreifen Satz, den man glatt in jede Dienstanweisung übernehmen könnte: "Wir haben hier mit allen zu tun, vom Obdachlosen bis zum Minister und zum Vorstandsvorsitzenden. Wer sich korrekt verhält, wird von uns korrekt bedient."