"Wenn etwas wächst, knirscht es auch"

Warum der frühere Stadtplanungschef Dengler den Westpark für zu groß hält und mit dem Rathausplatz nicht glücklich ist

19.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:14 Uhr

Wo endet Friedrichshofen? Und wo beginnt das größte Einkaufszentrum der Region? Hätte man den westlichen Stadtteil vor 20 Jahren aus der Luft fotografiert, wäre die linke Bildhälfte noch grün gewesen. Heute ballen sich dort die Großmärkte - Foto: Schalles

Beim Stichwort Verdichtung hakt Siegfried Dengler sofort ein. „Die Stadt ist nicht unbedingt dichter geworden, es wurde nur viel zusätzliche Fläche verbraucht.“

Nicht umsonst gelte Ingolstadt in Planer- und Architektenkreisen als „Hauptstadt der Einfamilienhäuser“. Sobald man die Altstadt verlasse, „steht man vor einem Einfamilienhaus“, sagt Dengler, das ziehe Konsequenzen nach sich bis hin zum öffentlichen Nahverkehr. „Der kann bei dieser Einwohnerdichte nicht funktionieren.“ Kaum jemand war in den vergangenen beiden Jahrzehnten so nahe dran an den städtebaulichen Entscheidungen wie der frühere Ingolstädter Amtsleiter Dengler, der vor einem Jahr der Schanz beruflich den Rücken gekehrt hat und nun in Nürnberg arbeitet. Als Stadtplaner erst unter Referent Klaus Goebl, später im Referat von OB Alfred Lehmann musste der studierte Architekt motivieren und mobilisieren, verhandeln und verhindern, gestalten und überzeugen – alles immer vor dem Hintergrund der politischen Mehrheitsverhältnisse. Dass Dengler früher mit einer Grünen-Politikerin verheiratet war, mag bei manchem CSU-Führer im Hinterkopf noch lange danach präsent gewesen sein. „Ich hatte schon den Eindruck, dass das mitschwingt.“

In die Amtszeit des Planers fielen gewaltige Veränderungen, siehe Güterverkehrszentrum, Gießereigelände, Hochschulbau, Westpark, Rathausplatz oder auch Ingolstadt Village. „Wie dynamisch die Entwicklung verlaufen wird, war für mich überhaupt nicht abzusehen“, erinnert er sich an seine Anfänge. Ingolstadt haftete noch das Image einer etwas provinziellen Arbeiterstadt an. Aus der Distanz von 20 Jahren seien dies „zwei ganz unterschiedliche Städte“. Dengler: „Natürlich gibt es auch immer eine Kehrseite. Wenn etwas wächst, knirscht es auch.“

Der frühere Amtschef ist weit davon entfernt, mit seiner alten Wirkungsstätte abrechnen zu wollen. Aber es drängt ihn doch, einige „fragwürdige Entscheidungen“ in Erinnerung zu rufen. Stichwort Westpark. „Man musste zwar davon ausgehen, dass die Altstadt allein nicht mehr die Versorgung der Stadt gewährleisten kann“, schickt er voraus. Eine gewisse „Dezentralisierung des Handels“ sei wohl unvermeidlich gewesen. Nicht jedoch die Ausweisung eines so großen Einkaufszentrums. „Noch fragwürdiger ist die jetzige Erweiterung, da darf man sich nicht in die Tasche lügen.“ Den Einwand, wonach die Menschen, also die Kunden, „mit den Füßen abstimmen“, lässt Dengler nicht gelten. „Die Politiker sollten auch ihren Kopf nutzen.“

Die Architekten nicht weniger. „Es gibt einige Büros, die keinen guten Beitrag zur Stadtentwicklung geleistet haben“, glaubt der Kritiker seines Berufsstandes. Er nennt keinen Namen, lässt aber auch keinen Zweifel daran, welches vielbeschäftigte Ingolstädter Büro, das einst einen Großauftrag nach dem anderen an Land zog, er dabei besonders im Auge hat.

Irgendwann, räumt Dengler ein, sind auch die Stadtplaner mit ihrem Latein am Ende. Etwa wenn beim Bau des gigantischen Güterverkehrszentrums die Sicherheit des Audi-Standortes auf dem Spiel steht. „Man muss gestehen, dass wir da keinen großen Einfluss hatten.“ Unter dem Aspekt der Arbeitsplätze sei die Sache schon positiv gelaufen. Und sonst? Na ja, immerhin konnte ein GVZ im Wasserschutzgebiet verhindert werden. „Dass wir die Kurve gekriegt haben, lag schon auch an der Stadtplanung.“

Eine rasant wachsende Stadt wie Ingolstadt braucht ein lebendiges Zentrum. Trifft den früheren Planungschef der Vorwurf mancher Ingolstädter, der Rathausplatz sei in eine öde Steinwüste verwandelt worden? „Da habe ich gemischte Gefühle“, erwidert Dengler. „Ein Platz lebt von den Nutzungen rings herum.“ Es sei leider damals nicht gelungen, den „Platzhirschen“ Sparkasse von einer gemischten Nutzung in seinem Neubau zu überzeugen. Nun herrsche eben Monostruktur: ein großes Geldhaus und gegenüber weitere „Bankfilialen, die sich mit Automaten präsentieren“.

Während Dengler mit voller Überzeugung die Pläne für das Gießereigelände verteidigt, liefert er noch seine Definition des Begriffes Nachhaltigkeit als Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie, sozialem und kulturellem Element. „Es drängt sich in Ingolstadt der Eindruck auf, dass dieses Gleichgewicht nicht erreicht ist, sondern ökonomische Aspekte im Vordergrund stehen.“ Kultur sei „nicht nur das Salz in der Suppe, sondern der Suppenteller“.