Ingolstadt
Politischer Vater und sein Ziehsohn

Oberbürgermeister Christian Lösel sagt im Prozess gegen seinen Vorgänger Alfred Lehmann aus

23.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:45 Uhr
Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Bei der Amtsübergabe im Jahr 2014 gratulierte Alfred Lehmann Christian Lösel als seinem Nachfolger als neuen Oberbürgermeister Ingolstadts. −Foto: Rössle (Archiv) / EberlxX

Ingolstadt (DK) "Geburts- und Familienname: Lösel. Vorname: Christian. Beruf: Oberbürgermeister in Ingolstadt.

Es ist Tag 11 im Bestechungsprozess gegen den Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann. Erstmals ist beim Prozess des Jahres vor dem Landgericht Ingolstadt nicht der Angeklagte, sondern sein politischer Ziehsohn Christian Lösel die Hauptperson - zumindest für einen Moment. Wann sagt schon ein amtierender Oberbürgermeister vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt aus? Sicher deshalb sind am Dienstag etwas mehr Zuschauer als sonst gekommen. Auch drei Stadträte - darunter BGI-Fraktionschef Christian Lange - wollten sich die Zeugenaussage nicht entgehen lassen. Sie dauert 25 Minuten.

Wie jeder Besucher und Prozessbeteiligter musste auch der OB im Landgericht erst einmal die Sicherheitsschranke passieren, sein Jackett ausziehen und sich abtasten lassen. Auch Alt-OB Alfred Lehmann und seine Frau müssen sich jeden Verhandlungstag aufs Neue dieser Prozedur unterziehen. Lösel ist der 43. Zeuge, der im Prozess gegen Lehmann aussagt.

Er habe Lehmann im Sommer 2001 kennengelernt, als es um die Aufstellung der Liste für die Kommunalwahl 2002 ging, erzählt Lösel auf die Frage des Vorsitzenden, seit wann er Lehmann denn kenne. Lehmann, damals auch CSU-Kreisvorsitzender, habe ihn gebeten, Pressesprecher des CSU-Kreisverbandes zu werden. 2008 sei er von Lehmann und anderen CSU-Vertretern gefragt worden, ob er für den Stadtrat kandidiere. 2010 habe Lehmann ihn dann als Referenten für die zentrale Verwaltung haben wollen.

Seit wann er von der privaten Wohnung Lehmanns gewusst habe? "Dass Lehmann eine private Wohnung sucht, war allgemein bekannt", sagt Lösel. Gut ein Dutzend Leute hätten davon gewusst. Dass er eine Wohnung im Neubaukomplex anstrebe, der auf dem Areal des früheren städtischen Krankenhauses entstanden ist, habe er "um das Jahr 2014 rum" erfahren, so Lösel. Von einem Rohbauvertrag habe er von Lehmann gehört, nachdem er ihn auf unter anderem bei ihm eingegangene anonyme Briefe angesprochen habe. Ende Juli 2016 habe es mit den anonymen Briefen begonnen. Nachdem er zunächst je eine Kopie einem Rechtsanwalt der Stadt und dem Rechtsreferenten übergeben habe, habe er Lehmann darauf angesprochen und ihm ebenfalls eine Kopie ausgehändigt. In mehreren Briefen sei die Rede davon gewesen, dass Lehmann eine "äußerst günstige Wohnung" gekauft habe.

Richter Bösl zitiert aus dem Ordner "Asservat 1.1", Eingangsstempel: 1. August 2016. In dem darin abgehefteten Brief heißt es unter anderem, "dieser Herr" habe "unseres Wissens nach von seinem Freund (der Bauträger, Anm. d. Red. ) eine Wohnung gekauft" . . . "wahrscheinlich, weil er sie von seinem Immobilienfreund ausgebaut bekommen hat". Vermerkt ist auch, dass die Stadt (der Krankenhauszweckverband) das Gebäude an den Bauträger verkauft habe. "Finden Sie nicht, dass das alles sehr gut geplant wirkt? ", hatte der Briefeschreiber gefragt.

Wohl nach Ende der ersten Augustwoche habe er mit Lehmann über den Inhalt des Briefes gesprochen. "Er hat mir eine Kopie des Notarvertrags übergeben. " Da seien Preise für den Rohbau drin gewesen und ein Anhang bezüglich des Ausbaus. "Er hat mir erklärt, dass er die Wohnung im Rohbauvertrag gekauft hat und dass er den Innenausbau selbst veranlassen wollte". Auch gegenüber Lösel habe er von rumänischen Firmen gesprochen, doch dann sei Lehmann davon abgekommen und habe den Ausbau durch den Bauträger vornehmen lassen. Warum er von seiner ursprünglichen Absicht Abstand genommen habe? Es sei ihm wohl zu kompliziert geworden - auch hinsichtlich der Gewährleistung. Überdies habe sich Lehmann im Februar 2015 einer Kopfoperation unterziehen müssen, weshalb er lange im Krankenstand war, Mitte 2015 sei Lehmanns Vater gestorben. "Das klang plausibel für mich. " Auch der Beratervertrag, den Lehmann für einen Neuburger Bauunternehmer hatte, kam zur Sprache. Lehmann habe für den Baufachmann "Kalkulationen durchgeführt", so Lösel.

Mehrere Aussagen bestätigten, dass die Wohnung Lehmanns - wie alle anderen - komplett vom Bauträger ausgebaut wurde, dieser jedoch bei Firmen Aufstellungen der Ausbaukosten für Lehmanns Wohnung eingeholt habe. Die Frage des Vorsitzenden, wann der Bauträger die Aufstellung gefordert habe, beantwortete einer der Zeugen, der die Verputzarbeiten ausgeführt hatte, so: "Da sind die Ermittlungen schon gelaufen. "

Am 30. September 2016 hat der DK erstmals über Vorwürfe gegen den damaligen Klinikums-Geschäftsführer Heribert Fastenmeier berichtet. Wie aus der Beantwortung eines Fragenkatalogs der Oppositionsparteien zur Klinikums-Affäre hervorgeht, ist der Aufsichtsrat des Klinikums, dem damals auch Lehmann angehörte, über die Vorgänge am 4. Juli 2016 informiert worden. Aufsichtsratsvorsitzender Christian Lösel wusste noch früher Bescheid. Er hatte durch ein Schreiben des damaligen Ombudsmannes Franz Xaver Goldbrunner erstmals von den Ermittlungen gegen Fastenmeier erfahren. Das Schreiben erreichte Lösel am 9. Januar 2016. Prozessfortsetzung morgen.
 

Ruth Stückle