Ingolstadt
Bestechungsprozess: Alt-OB Alfred Lehmann räumt über Verteidigererklärung Vorteilsannahme ein

13.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:32 Uhr
In diesem früheren Kasernenbau an der Hildegard-Knef-Straße erwarben Alt-OB Lehmann und sein inzwischen verstorbener Vater zu besonders günstigen Konditionen 16 Wohneinheiten. −Foto: DK-Archiv

Ingolstadt (DK) Also doch noch: Ingolstadts Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) hat im gegen ihn geführten Bestechungsprozess die letzte Chance genutzt, etwas für ein (möglicherweise) vergleichsweise mildes Urteil zu tun.

Über eine längere Verteidigererklärung hat er am Freitag vor der 1.Strafkammer des Landgerichts Vorteilsnahmen sowohl beim Kauf von Wohnungen in der früheren Pionierkaserne (Hildegard-Knef-Straße) als auch beim Ausbau seiner Eigentumswohnung an der Sebastianstraße zugegeben. Seine Fehler seien ihm teils erst während des Prozesses bewusst geworden, er bereue inzwischen sein damaliges Verhalten.

 

Mit eigenen Worten ließ sich Lehmann nicht ein. Es bestätigte dem Gericht auf dessen Nachfrage lediglich, dass die Erklärung in seinem Namen korrekt abgegeben worden sei. Sein Rechtanwalt Andreas von Mariassy ("Wir haben bis zuletzt an Formulierungen gefeilt") bestätigte dem DK aber nach der Verhandlung, dass Verteidiger und Mandant das zuvor verlesene vierseitige Papier als Geständnis verstanden wissen wollen.

Offenbar hat ein Rechtsgespräch, das die Strafkammer auf Bitten der Verteidigung am vergangenen Montag mit den Rechtsanwälten und Vertretern der Staatsanwaltschaft geführt hat, zu dieser Erklärung beigetragen. Bei dem Gespräch, über das der Vorsitzende Richter Jochen Bösl in der Verhandlung am Freitag ausführlich informierte, hat die Kammer ihre vorläufigen Schlüsse aus der bisherigen Beweisaufnahme offenbart. Es habe sich aber, das betonte Bösl ausdrücklich, nicht um ein Verständigungsgespräch zur Absteckung eines Strafrahmens gehandelt, wie es nach der Strafprozessordnung ebenfalls möglich ist. Ein "Deal" mit dem Gericht steht also nicht zur Debatte.

Dem Gesprächsprotokoll zufolge sieht die Kammer in beiden angeklagten Tatkomplexen den Vorwurf der Bestechlichkeit als erwiesen an, wenn auch im Fall Sebastianstraße in einem minderschweren Umfang. Der Vorsitzende hatte an vorausgegangenen Prozesstagen bei rechtlichen Hinweisen an den Angeklagten und seine Verteidiger bereits angedeutet, dass es für Lehmann ohne ein von Reue getragenes Geständnis um eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung gehen könnte. Der Alt-OB hatte sich dann in einer eigenen Erklärung Ende Juli nur zu einer Art Eingeständnis von fragwürdigen Handlungen ("Die Verantwortung liegt bei mir") durchringen können.

Die Kammer hatte Lehmanns Aussagen damals als "wenig glaubhaft" kommentiert, die Staatsanwaltschaft überhaupt kein Geständnis erkennen können. Am Freitag gab es hingegen in der Sitzung keinerlei wertende Kommentierungen durch das Gericht oder durch Anklagevertreter Gerhard Reicherl. Der Staatsanwalt merkte lediglich sofort an, nicht unmittelbar auf die komplexe Erklärung eingehen zu können. Es brauche hier etwas mehr Vorbereitungszeit.

Die Kammer hat dem im allgemeinen Einverständnis entsprochen und den Zeitplan für den weiteren Prozessverlauf nochmals geändert. Am 1. Oktober wird nun nicht, wie bisher geplant, plädiert, sondern die jüngste Verteidigererklärung Lehmanns erörtert und dann wahrscheinlich auch die Beweisaufnahme abgeschlossen. Die Schlussvorträge sollen nun am 11.Oktober gehalten, das Urteil dann am Dienstag, 22.Oktober, verkündet werden.

Prozessbeobachter sehen Lehmanns spätes Geständnis als einen Sprung des Alt-OB über seinen Schatten. Stets hatte der 69-Jährige während der Ermittlungen und auch noch während des Prozesses beteuert, in seinem Handeln beim Erwerb der Immobilien an der Hildegard-Knef-Straße und an der Sebastianstraße keine Fehler und Versäumnisse erkennen zu können. Nach DK-Informationen hatten ihm seine Anwälte Andreas von Mariassy (München) und Jörg Gragert (Ingolstadt) allerdings unter dem Eindruck von Ergebnissen der Beweisaufnahme zuletzt sehr wohl dazu geraten, offenbar gewordenes Fehlverhalten nun auch einzuräumen, was dann am 30. Juli aber nur recht halbherzig erfolgt war.

Die Erklärung vom Freitag hat nun eine andere Qualität, auch wenn sie nicht aus dem Munde des Angeklagten gekommen ist. Das Gericht muss ein Geständnis nach der Strafprozessordnung bei der Urteilsfindung immer strafmildernd berücksichtigen - egal ob es von einem Angeklagten selber vorgetragen oder ob es von einem Verteidiger verlesen wird, wie in diesem Fall.

Laut Erklärung ist sich der Alt-OB nunmehr bewusst, bei den inkriminierten Wohnungskäufen sehr wohl besonders günstige Angebote erhalten zu haben, die von den Verkäufern mit Blick auf Lehmanns erhofften Einfluss als (damaliges) Stadtoberhaupt und als Aufsichtsratschef bei der städtischen IFG und beim Krankenhauszweckverband in der Hoffnung auf weitere lukrative Geschäfte unterbreitet worden sein dürften. Lehmann habe letztlich "den angebotenen Vorteil angenommen", so die Erklärung. Manchen Fehler habe er auch erst während des nunmehr bereits über 20 Verhandlungstage andauernden Prozesses erkannt. In der Zusammenschau, so Anwalt von Mariassy, sei nun klar, dass es Fehlverhalten beim Angeklagten gegeben habe. Es sei auch Tatsache, "dass er sein Verhalten bereut".

Der Rechtsanwalt hatte in einer eigenen Vorbemerkung zu der Erklärung betont, dass Alfred Lehmann entgegen der Ausdeutung in Beobachterkreisen und in Teilen der Öffentlichkeit keinesfalls "beratungsresistent" sei. Vielmehr habe sein Mandant inzwischen "die Vorwürfe verstanden und erkannt".

Das Gericht geht laut Protokoll des Rechtsgesprächs vom vergangenen Montag davon aus, dass für den früheren Rathauschef nach der derzeitigen Beweiswürdigung in beiden angeklagten Komplexen der Tatbestand der Bestechlichkeit in Betracht kommt, wenn auch beim Ausbau seiner Eigentumswohnung wohl in einem minderschweren Fall. Das Gericht erkennt auch klare Pflichtverletzungen des Alt-OB in seinen früheren politischen Funktionen, weil er die zuständigen Gremien von IFG und Klinikum offenbar über einige von ihm getroffene Absprachen und Anweisungen im Zusammenhang mit den Immobiliengeschäften nicht informiert hatte. Lehmann muss im Falle einer Verurteilung auch damit rechnen, dass die Kammer für den Tatkomplex Hildegard-Knef-Straße eine Einziehung des von ihm durch Vorteilsannahme eingesparten Betrages anordnet - da könnte es nach bisherigem Erkenntnisstand um gut 350000 Euro gehen.

Inwieweit Alfred Lehmann am 1. Oktober zusätzlich zu seiner Erklärung vom Freitag noch einige persönliche Ausführungen machen wird, steht dahin. Sein Anwalt deutete am Freitag jedenfalls an, dass der Alt-OB zur Beantwortung von Fragen bereit sei. Auf jeden Fall wird Lehmann nach den Plädoyers - also voraussichtlich am 11. Oktober - nochmals Gelegenheit haben, sich im sogenannten letzten Wort vor der Urteilsberatung, das immer der Angeklagte hat, zu erklären.

Bernd Heimerl