Von Mäusen und Menschen

24.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:39 Uhr

Einladend leuchtet der Schriftzug "Tierklinik" in die Dunkelheit. Aber in dieser Nacht gibt es keinen Notfall.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: von 23 Uhr bis Mitternacht in der Notfallbereitschaft der Tierklinik.

So eine Nacht kann lang werden. "Gut schlafe ich nicht", sagt Eller, "denn ganz abschalten kann ich ja nie." Und so liegt in dem kleinem Raum, in dem die jeweilige Bereitschaftsärztin schläft – neben dem Chef Dr. Stefan Reindl arbeiten hier noch drei Frauen – zwar ein Stapel Fachbücher, doch die Ärztin zieht die Tintenwelt-Romane vor. "Für was anderes habe ich keinen Nerv", sagt sie mit einem entschuldigenden Lächeln.

Nebenan auf der Hundestation kauert ein einjähriger Beagle auf seiner Decke, er hat die Beagle-Pain – schmerzhafte Entzündungen im Gehirn und an der Wirbelsäule. Er ist auf dem Weg der Besserung: Infusionen braucht er nicht mehr, aber zur Sicherheit bleibt er noch in der Tierklinik. Dankbar lässt er sich kraulen, als Dr. Eller nach dem Rechten sieht. "Er hat eine günstige Prognose", sagt sie.

Und dann ist da noch das kleine Wildkaninchen aus der Parkanlage Schwarzer Weg: Passanten haben es mitgenommen, weil es unterkühlt und so schwach war. Kostenlos päppeln die Ärzte den einzigen Patienten in der Katzenstation auf, möglichst bald soll es wieder in Freiheit gesetzt werden. "Wildtiere behandeln wir umsonst", sagt Dorothee Eller. "Man glaubt gar nicht, wie viele Vögel wir bekommen."

Eller selbst hat zwei Katzen, Flori und Flora, Geschwister – und einen Hund, Fips, "so eine wilde Mischung". Den hat die Polizei als Welpen in der Tierklinik vorbeigebracht, weil er angefahren worden war. "Abgeholt hat ihn keiner." Und so hat ihn Dorothee Eller genommen. Macht sie unter der Woche den Notdienst, darf er mit in die Praxis. "Aber so ein Wochenende, das wäre zu lang."

Die Beschäftigten in so einer Klinik und Tiere, die keiner mehr will, das ist ein ganz besonderes Thema. "Wir haben eine Helferin, die hat bestimmt bald zehn Katzen." Viele Tiere würden halt vorbeigebracht, die einem einfach leid täten. Und da könne man nicht immer vorbeischauen und sie ans Tierheim weitergeben.

Dorothee Eller sitzt in einem der beiden Behandlungszimmer am Computer, in der Luft hängt dieser besondere Geruch aus Trockenfutter, Desinfektionsmittel und Angst. Nur wenige Lampen werfen ein paar Lichtkegel. Um 23.24 Uhr schaut eine grau-weiß gefleckte Katze durch die gläsernen Eingangstür. "Die schaut oft hier vorbei", sagt Eller, "sie lebt wohl in der Nachbarschaft."

Von der Konzerthalle Ohrakel dröhnen die Bässe herüber, in manchen Nächten geht vor der Haustür der Punk ab. Und andererseits beschweren sich einzelne Nachbarn im Wohnblock hinter der Klinik, der einstigen Bahnhofskantine, über Hunde, die nachts ständig bellen. Die Ärzte um Dr. Reindl versuchen deswegen, Dauerkläffer möglichst gar nicht über Nacht hier zu behalten. Aber zu bellen, das wäre wohl das Letzte, was dem kleinen Beagle nebenan jetzt einfallen würde.

Dorothee Eller macht zwar heute den Notdienst, der Chef ist aber jederzeit verfügbar – "er macht die schlimmen Sachen". Magendreher zum Beispiel, eine Gefahr vor allem bei größeren Hunden, "denn dann ist Feuer unterm Dach ". Da muss es schnell gehen. Knochenbrüche von angefahrenen Tieren dagegen sind Routine: Sie werden geschient, das Tier beruhigt, und dann ist schon Zeit bis zur OP am nächsten Tag gewonnen. "Vielen Tieren könnte ich ja erst einmal auch keine Narkose geben, das wäre einfach zu viel für sie."

Andererseits gibt es auch Liliputoperationen: Denn manche Besitzer lassen sogar ihre Mäuse sterilisieren. "Aber bei der Behandlung einer Maus sind schon enge anatomische Grenzen gesetzt", sagt Eller.

Nichts davon ist in dieser Nacht ein Thema. Als die Stunde mit dem DK endet, hält draußen auf dem Parkplatz doch noch ein Auto. Ein Pärchen und ein kleiner Hund steigen aus. Aha, Kundschaft. Mitnichten: Das sind die Nachbarn mit Pitchu, rumänisch für Zwerg. Und der hat nur ein Problem: Möglichst schnell einen Busch zu finden, um sein Beinchen heben zu können.