Ingolstadt
Desaströse Gedächtnistests

Mailinger Totschlagsprozess: Neurologe empfiehlt Unterbringung

22.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:17 Uhr
Der Angeklagte (r.) und seine Verteidiger Jörg Gragert (l.) und Günter Reisinger. −Foto: Stark

Ingolstadt (DK) Wie konnte es dazu kommen, dass in den frühen Morgenstunden des 17. Augusts 2018 ein 30-Jähriger in einer Gartenlaube in Mailing durch zwei Messerstiche getötet wurde?

Angeklagt ist ein 66-Jähriger Ingolstädter, der mit dem Opfer in der Nacht friedlich gefeiert hatte und es dann in einem plötzlichen Stimmungswandel getötet haben soll. Am dritten Prozesstag am Landgericht wurden gestern ein psychologisches und ein psychiatrisches Gutachten vorgestellt. Sie zeichnen das Bild eines Rentners, der zwar weitgehend freundlich in sich gekehrt ist, aber auch aufgrund einer zumindest leichten Demenz gereizt auf äußere Einflüsse reagieren kann. Aus ihrer Sicht ließe sich so auch - gerade in Verbindung mit starkem Alkoholkonsum - die Tat erklären, an die sich der 66-Jährige nach eigener Aussage nicht mehr erinnern kann. Einer der Gutachter empfahl aufgrund seiner Diagnose die Unterbringung des Mannes. Emotional wurde es gestern, als die Frau des Getöteten im Zeugenstand aussagte.

Den letzten Kontakt zu ihrem Mann habe sie am 15. August vergangenen Jahres gehabt, übersetzte eine Russischdolmetscherin für die Frau. Er werde einen Bekannten besuchen, um ihm in seinem Garten zu helfen, am 16. August sei er am Abend wieder zu Hause, so habe er es ihr mitgeteilt, sagte seine Frau. An dem Abend, an dem er zurückkehren wollte, schlief sie irgendwann mit ihrem zweijährigen Kind ein, die älteren drei Kinder waren mit der Großmutter im Urlaub in Italien. Normalerweise sei ihr Mann immer heimgekommen, wenn er es gesagt hatte - und wenn sich etwas geändert hätte, hätte er es auch mitgeteilt. Aber es habe keinen Anruf gegeben, keine Nachricht, nichts. Am nächsten Tag informierte die Polizei sie dann, dass ihr Mann in der Nacht zuvor getötet worden sei.

Nach dem Tod des Vaters hätten die drei älteren Kinder 13, 7 und 5 Jahre alt, starke psychische Probleme gehabt, erklärte die Frau des Verstorbenen. Sie hatten den Urlaub vorzeitig abbrechen müssen und dann die Nachricht erhalten. Eines der Kinder habe am 18. August Geburtstag gehabt - also einen Tag nach dem Tod des Vaters.

Als die Aussage der Frau beendet war, stand plötzlich der Angeklagte auf und sagte leise: "Ich entschuldige mich. " Während er weitersprach ("Ich kann mich nicht erinnern, wie konnte das passieren? "), stand die Frau auf, winkte schluchzend ab und sagte anklagend auf Deutsch: "Er ist tot. " Der Anwalt der Nebenklage bedeutete dem Angeklagten, den Versuch einer Entschuldigung zu unterbinden, da es die Frau zu sehr belaste. Schließlich unterbrach der Vorsitzende Richter Konrad Kliegl kurz die Verhandlung.

Seit Februar ist der Angeklagte in der Forensisch-Psychiatrischen Klinik des Bezirkskrankenhauses Straubing untergebracht. Er habe sich dort sehr gut eingefügt, sei sehr kooperativ, sagte der dortige Facharzt Lothar Groitl. Aufgefallen sei aber in mehreren Tests seine schlechte Gedächtnisleistung und dass ihn diese Tests sehr angestrengt hätten. Zudem habe er sich in den vergangenen Wochen doch stärker zurückgezogen, in manchen Situation habe er auch gereizt reagiert.

Die Psychologin Susanne Hecht hatte den Angeklagten während seiner Zeit in der JVA Gablingen untersucht. Ihre Eindrücke waren ähnlich - und die Testergebnisse auch: Während man wohl von einer durchschnittlichen Intelligenz ausgehen könne, habe der Tauben- und Hühnerzüchter bei Gedächtnistests teilweise "desaströs" abgeschnitten. "Man muss davon ausgehen, dass das Gedächtnis stark beeinträchtigt ist. " Er habe ihr auch erzählt, dass er sich in der Zeit vor der Tat wichtige Dinge auf die Handinnenflächen geschrieben habe, um sie nicht zu vergessen, etwa, die Hühner in seiner Parzelle zu füttern.

Er gehe von einer leichtgradig ausgeprägten Alzheimer-Demenz aus, sagte der Neurologe Johannes Weiß-Brummer, der den Angeklagten für sein psychiatrisches Gutachten dreimal besucht hatte. Die mit der Demenz einhergehende Labilität und Reizbarkeit, die er auch festgestellt habe, seien vor einem Jahr durch den starken Konsum von Alkohol (mehr als zwei Stunden nach der Tat wurden bei ihm 1,52 Promille gemessen) derart intensiviert worden, dass es zur Tat kommen konnte. Und es sei auch nicht ausgeschlossen, dass der Familienvater wegen dieser Umstände bei der Tat schuldunfähig beziehungsweise vermindert schuldfähig war.

Es sei aber natürlich schwierig, eine Aussage zu treffen, da nicht bekannt ist, was die Tat ausgelöst hat. Damit einher gehe natürlich die Sorge, dass sich die Tat jederzeit wiederholen könne, sollte der Mann, der keinerlei Vorahndungen hat, auf freien Fuß kommen - auch wenn er selbst und sein Umfeld jetzt wachsam wären und selbst, wenn er nie wieder Alkohol trinken würde. Ihn mit Auflagen freizulassen, "wäre aus forensisch-psychologischer Sicht ein gewagtes Experiment", so Weiß-Brummer. Die Demenz werde sich auch fortsetzen, erkärte er. "Ein selbstständiges Leben ist nicht mehr möglich. "

Entscheiden muss das aber das Gericht. Am Dienstag, 3. September, wird der Prozess um 9.15 Uhr am Landgericht fortgesetzt. Dann dürfte es nach aktueller Planung schon zu den Plädoyers und womöglich auch zum Urteil kommen.
 

Thorsten Stark