Schatten in der grünen Kathedrale

12.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:41 Uhr

Grabpflege vom Profi: Christine Wagner ist als Urlaubsvertretung für ihre Tochter im Einsatz. "Ich mach’ das gern hier", sagt sie.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: Von 14 bis 15 Uhr auf dem Südfriedhof.

Manche Menschen kommen einfach nur so auf den Friedhof, ohne bestimmten Anlass. So auch Maria Anthofer. Die 70-Jährige mustert die Steinplatten der Baumgräber. "Ich schau’ öfter hier vorbei, ob mal wieder jemand gestorben ist, den ich kenn’. So ist das halt, wenn man älter ist. Da denkt man mehr nach über den Tod." Seit 26 Jahren schon lebe sie allein, der Mann liege in Vohburg begraben. "Ich hab’ überlegt, ob ich ihn umbetten lass’, aber man hat mir abgeraten. Jetzt fahr’ ich halt alle vier Wochen übers Wochenende rauf, kümmer’ mich um sein Grab und besuch’ alte Bekannte von damals."

Besonders schön sei der Südfriedhof, meint die Besucherin. "Hier ist nicht alles so gedrängt, sondern luftig." An die eigene Bestattung denkt sie nicht bei ihren Streifzügen. "Mir ist das egal, das sollen die Kinder so machen, wie sie wollen", sagt die 70-Jährige und wirft einen Blick auf die Windlichter und Blumensträuße, die auf manchen Steinplatten stehen. "Wenn ein Wind geht, dann treibt es hier alles um. Manchmal heb’ ich das Zeug dann auf und räum’ es weg." Ordnung muss sein.

Dafür sorgt unter anderem auch die Asam-Grabpflege, wenn die Angehörigen sich nicht kümmern können. Christine Wagner ist zurzeit als Urlaubsvertretung für ihre Tochter im Einsatz. Gründlich zupft sie nach dem Gießen die verwelkten Blüten der Gottesaugen ab – eine Pflanze, die fast auf jedem Grab steht. "Ich mach’ das gern hier. Ich bin Altenpflegerin – da hat man immer mit dem Tod zu tun. Der Glaube ist dabei ganz wichtig. Ohne den Glauben geht gar nichts." Die Frau steigt wieder in das Fahrzeug mit dem großen Wasserbehälter auf der Ladefläche und gibt Gas – zum nächsten Grab.

Durch die Bäume und Hecken dringt leises Lachen, Gesprächsfetzen einer munteren Unterhaltung. Rund um eine Grabstätte stehen drei Frauen, eine vierte sitzt im Rollstuhl. Paula Drössler feiert heute ihren 96. Geburtstag. Die alte Dame hat sich besonders fein gemacht: Sie trägt ein elegantes Kostüm mit passenden Schuhen und Handtasche, auf dem Kopf einen Strohhut. "Wir waren gerade Mittagessen beim Widmann in Spitalhof, jetzt besuchen wir den Vater", sagt Inge Sperl, eine der drei Töchter der Jubilarin.

Der Mann von Paula Drössler starb im Januar 2001 – einen Tag vor der Eisernen Hochzeit. Tragisch sei das damals gewesen, erzählen die Frauen, denn das Foto vom Jubelpaar wurde vorab gemacht und erschien tags drauf in der Zeitung, denn es war bereits zu spät, um die Veröffentlichung zu verhindern. Die 96-Jährige nimmt es heute gelassen und erzählt lebhaft, dass sie jeden Tag die Zeitung lese – "ohne Brille" – und regen Anteil am Weltgeschehen nehme. "Sie kennt alle Fußballer und Politiker", sagt Tochter Eveline Muschler anerkennend.

Die Töchter kommen öfter ans Grab ihres Vaters. "Auf dem Südfriedhof ist es ja überhaupt schön", meint Inge Sperl und erzählt, ihr Onkel – der damalige Gartenamtsleiter Anton Maier – habe die Planung gemacht. Der sei auch schon lange tot. Die Frauen machen sich auf den Heimweg – es gibt ja noch Kaffee und Kuchen mit der Verwandtschaft.

Stille breitet sich wieder aus. Amseln picken geschäftig zwischen den Gräbern herum. Ein Eichhörnchen huscht über den Rasen und jagt einen Baum hinauf. Dann regt sich eine Weile gar nichts mehr. In der Hitze sind sogar die Vögel verstummt. Niedliche kleine Mamorengel stehen still und starr auf den Gräbern. Die steinerne Gottesmutter mit dem Jesuskind auf dem Arm lächelt sanft unter ihrem Schleier aus Efeu hervor. Es scheint fast so, als ob die Zeit still steht. Dabei ist wie im Fluge wieder eine Stunde verronnen.