Sauspiel, Bums und Wenz

22.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:39 Uhr

Gutes Blatt: Wer beim Schafkopfen diese Karten bekommt, ist höchstwahrscheinlich um ein paar Cent reicher. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: von 22 bis 23 Uhr bei der Schafkopfrunde.

Ein warmer Wind weht durch die Ingolstädter Altstadt. Es ist dunkel geworden. Glühbirnen und Kerzen beleuchten zwischen 22 und 23 Uhr den Platz vor dem mediterranen Bistro bei der Schleifmühle. Auf den Tischen stehen Tortillas, Salate, Antipasti. Drinnen gruppieren sich Stühle und Tische aus hellem Holz um die in Terrakotta-Tönen gekachelte Bar. An der Wand hängt ein Plakat vom Pferderennen in Siena. Inmitten dieses südländischen Flairs gedeiht urbayerische Lebensart.

Spieler sorgen für Ersatz

Vier Männer sitzen um einen Holztisch. Vor sich haben sie Kleingeld gestapelt. "Und, ist der Stress für heute vorbei", fragt Stefan Kuttenreich. "Ja", antwortet Niklas Markl. Lächelnd rührt er in seinem Cappuccino. Seit mehr als zehn Jahren gibt es diese Runde. Ins Leben gerufen wurde sie im Wirtshaus Daniel. Als das ein paar Wochen geschlossen war, wichen die Männer in den "Ölbaum" aus – und blieben. "Es gibt vier Stammspieler", sagt Lorenz Erp, kurz bevor er einen Unter raushaut. "Und dann ist da ein weiterer Kreis." Wenn ein Stammspieler nicht könne, müsse der dafür sorgen, dass ein Ersatzmann komme. Ausgefallen ist der Stammtisch selten. Eigentlich nur an Weihnachten, Silvester oder bei der Fußball-EM.

Ziel beim Schafkopfen ist es, durch Stiche mindestens 61 Punkte zu erreichen. Trümpfe sind die Ober, die Unter und die Farbe Herz. Die Regel ist das normale Ruf- oder Sauspiel. Dabei sagt einer der vier Spieler eine Farbe an, von der er mindestens eine Karte hält. Er spielt dann mit demjenigen zusammen, der die Sau dieser Farbe hat. Geredet wird beim Schafkopfen wenig. Auch im "Ölbaum". Die Männer beherrschen das Spiel. Wer mit wem spielt – also wer die gerufene Sau hat – ist spätestens nach einer Runde klar. Nicht weil die Sau gezeigt wurde. Sondern weil alle Spieler einer Logik der Punkte-Maximierung folgen. Spielt einer eine Zehn, ist klar: Der legt viele Punkte rein, der gehört zu dem, der gerade den höchsten Trumpf gespielt hat.

Aus Lautsprechern tönt spanische Musik, die regelmäßig durch ein Klatschen oder ein Klopfen übertönt wird. Das Klatschen entsteht, wenn ein Spieler eine Karte auf den Tisch wirft. Wenn er energischer ist, kracht dabei auch sein Handgelenk auf die hölzerne Platte. Daher stammt das Klopfen.

"Da bescheißt keiner"

"I dat", sagt Kuttenreich. Er sitzt links hinten und lächelt, wie die meiste Zeit. Andreas Geier, der ihm diagonal gegenüber sitzt, kratzt sich am Kopf. "Ich auch." Er hat drei Ober auf der Hand. Die Männer spielen um Geld. Ein normales Rufspiel kostet fünf Cent, ein Solo 25. "Da bescheißt keiner", sagt Geier. "Bei den Tarifen lohnt sich das nicht."

Kommunikation besteht aus Codes. Die Verständigung beim Schafkopfen ist keine Ausnahme: Begriffe und Gesten sind mit Bedeutungen belegt. Wer den Code nicht kennt, kann die Bedeutungen nicht lesen, hat keine Chance, zu folgen. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass in jedem Landstrich Bayerns andere Regelvarianten gespielt werden. Was in Landshut normal ist, gilt in Ingolstadt als undenkbar. Erp kann ein Liedchen davon singen: "Als ich studiert habe, waren bei uns im Semester Leute von überall her." Die einen hätten gesagt: "Was soll denn ein Farbwenz sein" Andere hätten sogar einen Geier gespielt. Er schüttelt den Kopf.

Die Männer, die da um den Tisch sitzen, passen so gar nicht in das Klischee vom Schafkopfer. Sie tragen T-Shirts statt Trachtenjanker. Sie trinken Weißbier, aber nicht viel. Das Spiel fordert schließlich Konzentration. Es sind Männer um die 40, die studiert haben in München oder Regensburg. Die nun wieder zurück sind in der Stadt, in der sie gemeinsam ihre Jugend verbracht haben. Sie lieben die Abende im "Ölbaum". Es sind Abende voller Rituale. So mancher spielt hier schon länger, als er seinen aktuellen Job ausübt oder mit seiner Partnerin zusammen ist. Der Donnerstagabend ist eine Konstante im Leben der Männer, komme was wolle. Vielleicht geht es beim Schafkopfen auch genau darum und gar nicht so sehr um das Spiel.

Gegen 23 Uhr zahlen die ersten Schafkopf-Spieler. Andere rücken nach. Doch auch sie werden bald nach Hause gehen. Ohne viele Worte. Denn kommende Woche um die selbe Zeit treffen sie sich hier wieder. Genau wie in den kommenden Monaten und Jahren.