"Das IOC hat richtig gehandelt"

Sven Güldenpfennig ist gegen Komplettausschluss Russlands, fordert eine sachgerechte Urteilsbildung

01.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:28 Uhr

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. So lautet eine der unübertrefflich schlichten und deshalb unsterblichen Sport-Botschaften von Sepp Herberger. Auf die Hektik des heutigen Sportkalenders bezogen heißt das: Nach dem Fußball-EM-Endspiel ist vor den Olympischen Spielen. Die Stimmung ist schlecht. Vorfreude will nicht aufkommen.

Hat das IOC mit seiner auf Russland, bei dem der Verdacht auf systematisches Staatsdoping naheliegt, bezogenen Entscheidung richtig gehandelt? Auch wenn das zurzeit bei uns keiner hören will: Selbstverständlich! Wer, wie auch diese Zeitung, behauptet Thomas Bach habe "Freund Putin zuliebe" die Entscheidung erwirkt, die Verantwortung für einen über die Leichtathletik hinausgehenden Ausschluss zunächst den internationalen Fachverbänden zu übertragen, und er habe damit einen "herben Rückschlag" für den Anti-Doping-Kampf bewirkt, der frönt damit mehr seinem Steckenpferd des Verbände-Bashings als einer sachgerechten und damit klugen Urteilsbildung. Das IOC ist auch im Fall Leichtathletik der Einschätzung der IAAF gefolgt und hat diese nicht vorweggenommen. Aus guten Gründen. Denn die Fachverbände, nicht aber das IOC, haben den direkten Einblick in die Gegebenheiten auf der sportpraktischen Ebene. Natürlich schwillt einem angesichts der fast flächendeckend anmutenden russischen Dopingfälle der Kamm. Diese Emotion aber darf auch hier nicht an die Stelle eines sachgerechten und sportrechtlich korrekten Verfahrens treten.

Maulhelden kennen nur eine Strategie: einfaches Durchschlagen des Gordischen Knotens. In der Politik, in die Tat umgesetzt, reicht das nicht weiter als bis zum nächsten Tag und bis zum Horizont des Ratgebers. Es ist nämlich nichts als Kraftmeierei. Generell untauglich für nachhaltige Politik, erst recht im Sport. Im aktuellen Fall sind solche Parolen besonders wohlfeil, weil sie auf einen russischen Präsidenten gemünzt werden können, der hart an seinem Image als Watschenmann der westlichen Medien gearbeitet hat. Das IOC war schon immer - siehe unter vielen anderen das Problem der Frauen-Diskriminierung in muslimischen Staaten - zurückhaltend mit radikalen Entscheidungen, weil es die engen Grenzen seiner Macht kennt. Deshalb ist es unverantwortlich, jetzt in der Russland-Frage abermals mit dem Holzhammer auf die vermeintlich allmächtigen Olympier einzudreschen, statt die Öffentlichkeit mit nüchterner Urteilsbildung aufzuklären. "Der wahre Herrscher Putin", posaunt die Süddeutsche Zeitung heraus. So a Schmarrn! Und noch schlimmer: "Wozu noch Olympia" fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Weil die olympische Lage unersprießlich und manche sportpolitische Entscheidung umstritten ist, werfen solche beflissenen Ratgeber am liebsten gleich ein ganzes Projekt der Weltkultur auf den Misthaufen der Geschichte! All das ist nichts anderes als die gehobene Form des in Mode gekommenen Shitstorms. War Politik nicht das Ringen um Lösungen in schwierigen Lagen und Krisen auf der Grundlage von präzisen und differenzierten Lagebeurteilungen? Also etwas Anspruchsvolleres als spontan-stereotype Reflexe und verbale Amokläufe?

Die Antwort auf jene Frage "Wozu noch Olympia", wenn sie denn ernsthaft und nicht nur noch rhetorisch-polemisch gemeint wäre, ist einfach. Nein, zweifach: Zum einen trotzdem und alledem "noch Olympia" deshalb, weil alle Krisen dieser Welt uns nicht von dem abhalten dürfen, was uns erst zu Menschen macht: die Verteidigung unserer Kulturgüter, und zwar gegen alle Bedrohungen von außen wie von innen. Zum anderen deshalb, weil der Sport auch dann zu diesem Reichtum der Weltkultur gehört, wenn er seine internen Probleme noch nicht abschließend (also nie) gelöst hat. Wir müssen uns wieder vornehmen, mehr aus der Hoffnung zu leben als aus der Resignation. Auch im Sport. Und das heißt auch: Wir sollten uns nicht länger verrückt machen lassen von neunmalklugen Vereinfachern, die uns weismachen wollen, sportpolitische Probleme ließen sich am besten durch Entweder-Oder- und Alles-oder-Nichts-Parolen aus der Welt schaffen.