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Wie aus Elend edel wurde

22.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Fünf Jahre Recherchearbeit: Ortschronist Gustav Bernhardt mit seinem Werk über die Geschichte von Friedrichshofen. - Foto: Brandl

Friedrichshofen (DK) Mit seiner Chronik über Friedrichshofen ist Gustav Bernhardt ein Teil der Aufarbeitung der Geschichte des Ingolstädter Ortsteils, der vor 184 Jahren von Friedrich Schultheiß gegründet wurde. So zumindest sieht der Chronist sich selbst.

Der Mann, der die Geschichte des einstigen Dorfes zu Papier gebracht hat, stammt selbst aus Hitzhofen im Landkreis Eichstätt, hat aber quasi nach Friedrichshofen eingeheiratet. Bernhardt, der gelernte Industriekaufmann, der später eine Verwaltungslaufbahn bei der Stadt Ingolstadt einschlug, Leiter des Liegenschaftsamtes war und somit "zuständig war für alle Grundstücke", wie er sagt, sah in diesem Werdegang bereits eine "gewisse Neigung", der Geschichte von Friedrichshofen zu begegnen. Dabei stellte er sich vor allem eine Frage: Warum wurde dieses Dorf erst vor 184 Jahren aus der Erde gestampft, wo doch alle anderen Orte in der Umgebung - ob Buxheim oder Eitensheim - schon zwischen 900 und 1100 gegründet worden waren? "Es hing damit zusammen, dass um 1820 eine sehr arme Zeit vorherrschte, die geprägt war von Auswanderung und Arbeitslosigkeit", erzählt er. Deshalb rief König Ludwig dazu auf, freie Ländereien zu suchen, um sie zu besiedeln. Abgeordneter Regimentsquartiermeister beim Festungsbau in Ingolstadt war seinerzeit der protestantische Franke Friedrich Schultheiß. Er gebar den Ort quasi aus einer Aktiengesellschaft, versuchte, durch Anteilsverkäufe eine Kolonie zu gründen. "Die Rechnung ging auf", sagt Bernhardt. Einer der Aktionäre sei der König selbst gewesen, Schultheiß kaufte 25 Tagwerk Land.

"Ein Beiname von Friedrichshofen war lange Zeit ,Das Elend €˜", weiß Bernhardt. So sei das Gebiet deswegen so lange unbesiedelt gewesen, weil es wegen seiner tiefen Lage und der ständigen Nässe nicht besonders fruchtbar war. "Eine typische Heidelandschaft eben", so Bernhardt. Ebenso wurde befürchtet, Elend könne durch Kolonisten entstehen, die nicht existenzfähig wären. "Deshalb musste man vor der Besiedelung ein Leumundszeugnis ablegen und 800 Gulden hinterlegen", schildert der Chronist das damalige Vorgehen. Heute sei, angesichts der hohen Quadratmeterpreise, die in Friedrichshofen vorherrschten, aus dem Elend ein Edel geworden, ergänzt er verschmitzt.

Bis zur Eingemeindung nach Ingolstadt im Jahr 1969 - drei Jahre vor der Gebietsreform - sei es mit der Lebensfähigkeit des Ortes nicht weit her gewesen, erinnert er sich. Zwar verfügte Friedrichshofen über ein intaktes Dorfleben ("Auf dem Dorfplatz mit der Friedenslinde von 1871 wurde gemeinsam gesungen", so Bernhardt), aber eine eigene Schule zu bekommen, das machte erst die Eingemeindung möglich. Dass der ehemalige Dorfplatz, der heutige Friedensplatz, mit dem Feuerwehrhaus wieder aufleben konnte, ist für Bernhardt das Ergebnis der Beschäftigung mit der Geschichte des Ortes. Lobend erwähnt er in diesem Zusammenhang das Engagement der Stadt und der Friedrichshofener Bürgerinitiative. "Das Dorfleben wurde wieder aktiviert", sagt er.

Für seine Chronik, die er 2007 zum 175-jährigen Bestehen herausbrachte, habe er fünf Jahre intensiv in Archiven recherchiert, mit Zeitzeugen gesprochen und im Vorfeld sogar Seminare besucht, um urheberrechtliche Fehler zu vermeiden. Ohne die Hilfe von Mitautoren, die sich um Themen wie Archäologie, Kirchliches und das Schulwesen kümmerten, hätte er das Pensum aber nicht geschafft. Heute sei er stolz auf das Ergebnis. "Denn ich bin sicher, das hätte so keiner mehr niedergeschrieben", sagt er.

Vor 20 Jahren firmierten Hollerstauden und Friedrichshofen zum Stadtbezirk Nummer XI. Wie war damals die Haltung der Friedrichshofener? Da hätten zuerst viele Fragezeichen existiert, sagt er. Vor allem wegen der massiven Bebauung. "Heute aber kann man sagen, dass sich Hollerstauden zu einem sehr integrativen Stadtteil entwickelt hat." Was die Bebauungspläne der Stadt auf dem Gelände um den Samhof beim Klinikum angeht, ist Bernhardt dagegen skeptisch. Er würde sich wünschen, dass dort alles beim Alten bliebe. "Es wäre der Geschichte dieses Baudenkmals nicht angemessen", sagt er.