Mehr Schreibkram für Schwerbehinderte

08.04.2009 | Stand 03.12.2020, 5:03 Uhr

Ingolstadt (DK) Schwerbehinderten und ihren Familien wird das Leben jetzt noch ein Stück schwerer gemacht: Wer den Fahrdienst in Anspruch nimmt, weil er zum Beispiel Sport treiben will, der muss eine Menge Schreibkram erledigen. "Es ist unverschämt, die Schwächsten auch noch zu bestrafen", regte sich ein Vater am Dienstag beim Elternabend im Caritas-Zentrum St. Vinzenz auf.

Die Kritik richtet sich gegen die neue Handhabe bei der Mobilitätshilfe, für die seit Jahresbeginn im Rahmen der Eingliederungshilfe der Bezirk Oberbayern zuständig ist. Benötigen Schwerbehinderte jetzt den Fahrdienst, um beispielsweise einen Kurs der Offenen Behindertenarbeit (OBA) zu besuchen, so müssen sie zuerst einmal einen Antrag auf Sozialhilfe stellen. Sofern sie anspruchsberechtigt sind, erhalten sie dann monatliche Entgeltpauschalen von 80 Euro aufwärts – je nach Grad der Behinderung und Entfernung. Außerdem müssen sie die Fahrten selber buchen, mit dem Anbieter abrechnen und dabei im Auge behalten, dass ihr Budget nicht überschritten wird. "Wir wollen den Menschen künftig eine Wahlmöglichkeit geben, welchen Anbieter sie nutzen", begründet Bezirksrat Rudolf Geiger (CSU) die Neuregelung. "Bisher sind immer nur die Malteser gefahren, jetzt kann man auch ein Taxi nehmen."

Daheim bleiben

Diese Wahlmöglichkeit gab es bisher zwar nicht, dafür aber war die Sache ganz einfach: Der Malteser Hilfsdienst hatte einen Vertrag mit der Stadt Ingolstadt und rechnete mit ihr alle Fahrten über Listen ab. "Jetzt dürfen wir ungefähr 400 einzelne Rechnungen schreiben", erklärte Bezirksgeschäftsführer Stefan Dobhan beim Elternabend am Dienstag. "Wir befürchten, dass ein Teil der Berechtigten mit dem ganzen Verfahren überfordert ist." In der Tat erklärten mehrere Anwesende, dass ihre schwerbehinderten Angehörigen halt künftig nicht mehr zur OBA gehen, sondern daheim bleiben müssen.

Genau das soll aber nicht passieren, denn die OBA ist für behinderte Menschen ein Stück Lebensqualität und Teilnahme am Gemeinschaftsleben. Hier können sie töpfern, Tennis spielen, Entspannungstechniken erlernen oder Feste feiern. Die Kurse werden von Ehrenamtlichen geleitet. "Bei uns sind zirka 70 Leute freiwillig tätig – da bricht jetzt vielleicht alles weg", sagt Markus Pflüger, Leiter des Caritas-Zentrums St. Vinzenz. Die Caritas bezuschusst die OBA in Ingolstadt darüber hinaus mit rund 150 000 Euro pro Jahr.

Etwa 130 Menschen aus Ingolstadt und Umgebung nutzen die Angebote und werden meist direkt nach der Arbeit in den Lebenshilfe-Werkstätten ins Caritas-Zentrum gefahren. Dafür fielen 2008 Fahrtkosten in Höhe von 41 000 Euro an.

Bezirksrat Geiger räumt gegenüber dem DONAUKURIER ein, das neue Verfahren sei sicher komplizierter und mache mehr Arbeit. Er versichert aber auch, dass niemand benachteiligt werde. "Jeder bekommt die gleiche Zahl an Fahrten wie im vorigen Jahr, bei Bedarf auch mehr", so der CSU-Politiker. Um die Umstellung so bürgerfreundlich wie möglich zu gestalten, habe der Bezirk allen Schwerbehinderten, die 2008 Fahrdienste nutzten, zu Jahresbeginn vorab 80 Euro überwiesen. Allerdings haben Berechtigte aus Ingolstadt und Umgebung diesen Vorschuss anscheinend nicht erhalten – vermutlich, weil ihre Daten nicht an den Bezirk gemeldet wurden. Das stellte sich am Mittwoch erst auf Nachfrage des DK heraus. Wo genau der Fehler liegt, war auf die Schnelle nicht zu klären, doch Geiger sicherte zu, den Betroffenen umgehend und unbürokratisch zu helfen. Bisher sind den Leuten immerhin keine Kosten entstanden, weil noch nicht abgerechnet wurde.

Protestbrief an Seehofer

An dem Antragsverfahren und der Einzelfallabrechnung wird sich aber laut Geiger nichts mehr ändern: "Wir mussten das so regeln, weil der Bezirk andernfalls um eine europaweite Ausschreibung des Fahrdienstes nicht herumgekommen wäre." Die aufgebrachten Eltern überlegen sich trotzdem, einen Protestbrief an Ministerpräsident Horst Seehofer und Sozialministerin Christine Haderthauer zu schreiben. "Bald sind doch Europawahlen – da werden sie sicher die Ohren spitzen", hieß es.