Mailing
Herr über 3000 Tonnen Müll

In den Öfen der MVA Ingolstadt verbrennt der Abfall der ganzen Region – Ein Besuch im Bunker

24.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:04 Uhr

 

Mailing (DK) Der Greifer gräbt sich tief in Tüten, Styropor und Karton. 15 Meter ragen die Müllberge auf – und hoch über ihnen thront Michael Hirsch, Herr über den Müllkran. Mit zwei Joysticks bewegt er spielend vier Tonnen Abfall in die Öfen der Müllverbrennungsanlage Mailing.

Rote Rücklichter schieben sich von der Seite in den Bunker. 20 Meter unter Michael Hirsch erscheint das Hinterteil eines grünen Müllfahrzeugs durchs Anliefertor. Langsam öffnet sich seine Klappe, Plastik tröpfelt heraus. Dann kippt die Ladefläche nach hinten. Ein Schwall aus Folien, Bauschutt und Papier ergießt sich in den Bunker. Für einen Moment blitzen nur noch die roten Rücklichter durch den dichten Staub.

Der frische Müll fällt in die Täler unter den fünf Anliefertoren. Rundherum ragen wie Steilwände die grauen Abfallberge mit den bunten Tupfen auf. „Je gerader die Mauer wird, desto mehr Müll passt rein“, erklärt Michael Hirsch. 3000 Tonnen Müll sind gerade im Bunker. „Montags ist er leerer, am Wochenende kommen keine Anlieferer.“ Sacht schiebt er den Joystick zu seiner Linken nach vorne und ebenso sacht schwebt der gelbe Müllgreifer in dieselbe Richtung. Eine Bewegung mit der rechten Hand und er gleitet wie eine Spinne am Faden hinab in den frischen Müll. Die Zacken des gelben Greifers verschwinden komplett darin. Bevor der nächste Anlieferer kommt, muss wieder genug Platz im Tal sein. „Wir bekommen jeden Tag so um die 1000 Tonnen Müll geliefert. Gestern waren es 1050“, sagt Michael Hirsch und lässt den Greifer ganz lässig auftauchen, die Zähne voller Abfall.

Staub und Asche rieseln heraus, lange Folien ziehen sich den ganzen Berg hinauf, scheinen kein Ende zu nehmen. Zehn Meter, 15 Meter. Bauschutt. „Manchmal schaut es aus wie an Weihnachten, als wäre alles voller Lametta“, sagt Michael Hirsch und lacht. Gelacht wird hier öfter, bei ihm und seinem jungen Kollegen Michael Gerber. Maxi-Michel und Mini-Michel nennen sie sich scherzhaft. Die beiden Männer sitzen mit den Rücken zueinander in weichen, schwarzen Sesseln in der verglasten Kranwarte. Jeder von ihnen steuert einen Greifer mit zwei Joysticks. Michael Hirsch (40) seit 13 Jahren, Michael Gerber (22) noch nicht so lange, er hat gerade seine Ausbildung in der MVA gemacht. Im Führerhaus ist es dunkel, den Bunker selbst durchflutet warmes, gelbes Licht. So sehen sie besser, was sie mit ihrem riesigen, verlängerten Greifarm gerade tun. Tags wie nachts, denn ein Müllkran ist immer besetzt, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. An Heiligabend? „Da auch.“

Den ankommenden Müll verteilen die beiden Kranfahrer gleichmäßig auf das Abfallgebirge. Das ist wichtig, damit er sich vermischt. Plastik brennt besonders gut, ganz im Gegensatz zu nassen Sachen. „Manchmal kommen Container, die obendrauf nur ein Netz haben und in die es reingeregnet hat“, erzählt Michael Hirsch. Diesen Abfall verteilt er dann besonders gründlich, damit die Öfen nicht einmal extrem heiß werden durch eine Fuhre mit viel Plastik und dann, mit der nächsten Greiferladung runterkühlen, wegen zu vieler nasser Sachen. „Das kann passieren, denn die Öfen funktionieren wie Schmiedefeuer, ohne Zusatzstoffe, nur Luft kommt von unten dazu“, erklärt Michael Hirsch. Drei Öfen gibt es in der MVA. Etwa 700 Tonnen Müll können damit am Tag verbrannt werden. In Ofen drei herrschen im Moment über 1000 Grad.

Durch zwei von fünf Toren kippen gerade Anlieferer Müll in den Bunker. Auf Bildschirmen haben die beiden Michaels auch diesen Bereich im Blick. Nicht, dass der Greifer mit einem Laster zusammenstößt. Aus dem einen Kipper flutet ein graues Granulat. „Das kommt aus der Kläranlage“, sagt Michael Hirsch. Alles, was da übrig bleibt. Das andere ist Hausmüll, irgendwo aus der Region 10. Obenauf liegt ein Schuh. Im gelben Licht tanzt der Staub nach innen, weg von den Anliefertoren. „Im Bunker herrscht leichter Unterdruck, damit der Staub nicht raus kann“, erzählt Michael Hirsch. Darum riecht es auch nicht streng um die MVA herum.

Schwungvoll saust der Greifer von oben auf den Gipfel des höchsten Berges hinab. Wie eine sterbende Spinne zieht er die Beine zusammen, bis er mit dem mehrlagigen Müll dazwischen fast zu einer Kugel wird. Ein Blumentopf bröckelt heraus. Der Greifer schwebt nach links, und Michael Hirsch lässt alles in den großen Trichter, der zu Ofen drei führt, fallen. Auf einem Bildschirm sieht er von oben in den Schacht – und die Temperatur. Ob er es am Volksfest schafft, mit der Miniaturversion seines Greifers Kuscheltiere zu fischen? „Natürlich, das ist alles nur Übungssache.“ Michael Hirsch lacht.

Menschen in weißen Ganzkörperanzügen sind hinter den Trichtern der Verbrennungsöfen unterwegs. Wie Eisbären auf dem grauen Beton eines Tierparkgeheges – allerdings mit Schläuchen und Besen bewaffnet. Es ist wichtig, dass es rundherum sauber ist, sonst würde die Staubschicht auf den Flächen ins Unermessliche wachsen. Auch die Greifer werden einmal im Monat gereinigt. Dabei geht es um Brandschutz, denn wenn beim Häckseln des Sperrmülls zum Beispiel ein Funke entsteht, oder es aus dem Ofen zurückbrennt, könnte der Staub Feuer fangen und den Müll im Bunker entzünden. Kleine Feuer kommen schon mal vor, doch die kann Michael Hirsch direkt von seinem Schaltpult aus löschen: „Wasser marsch!“

Nicht alles verbrennen die beiden Michaels gerne: „Manchmal sind Autoteile drin, da denk ich mir schon – Mensch, könnte man die nicht vielleicht noch brauchen“, erzählt Michael Gerner. Was sie tatsächlich herausfischen sind Gasflaschen. „Die haben wir öfter – noch ein Grund, warum wir den Müll noch einmal verteilen, damit wir sehen, was drin ist. Gasflaschen fischen wir raus, da können die Öfen kaputtgehen“, sagt Michael Hirsch. „Das Pfand ist den Leuten, die sie wegwerfen wohl egal.“ Doch das schockierendste, was er je im Müll gefunden hat, war etwas anderes: „Auf einmal schaut da ein Arm aus dem Müll“, erzählt Michael Hirsch aufgeregt. Bei näherem Betrachten stellte sich heraus: eine Schaufensterpuppe. „Aber auf den ersten Blick war das sehr komisch.“

Unten rutscht eine frische Lawine Müll in den Bunker. Michael Hirsch lässt die Spinne hineingleiten. Von der Wand bröckelt ein Topf.