Ingolstadt
Lange Finger auf der Ladefläche

Weiterer Fall aus Komplex der Audi-Zulieferdiebstähle abgeschlossen - Mutmaßlicher Haupttäter flüchtig

24.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:45 Uhr
Der Großparkplatz der Audi-Lkw-Zentrale seitlich der Dr.-Ludwig-Kraus-Straße unweit des Hochkreisels gehört nicht zum Audi-Werksgelände und wird deshalb auch nicht so stark überwacht. Hier hatte sich 2017 einer der gestern am Amtsgericht verhandelten Diebstähle abgespielt. −Foto: Oppenheimer/Archiv

Ingolstadt (DK) Schon seit geraumer Zeit arbeiten sich Polizei und Justiz an einer Bande rumänischer Autoteilediebe ab, die sich im Zuliefersystem für die Audi-Werke in Ingolstadt und im ungarischen Györ in großem Stil bedient haben.

Am Mittwoch ist vor dem Schöffengericht ein vergleichsweise "kleiner Fisch" aus der Gruppe mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Nach einem Ingolstädter Unternehmer, der die Ware bestellt und in dunkle Kanäle verschoben haben soll, wird hingegen immer noch gefahndet. Er ist seit rund einem Jahr auf der Flucht.

Tatorte in diesem "Wirtschaftskrimi" waren das Ingolstädter Güterverkehrszentrum (GVZ) und einige Parkplätze im Umland, auf denen einige Fahrer einer für die Audi AG tätigen rumänischen Spedition im Jahr 2017 immer wieder mal ihre mit wertvollen Bauteilen für die Autoproduktion beladenen Brummis kurzzeitig unbeaufsichtigt ließen, damit andere Fahrer, die ihre Kollegen mit vergleichsweise kleinen Geldbeträgen bestochen hatten, auf den Ladeflächen auf "Einkaufstour" gehen konnten.

Anhand der ihnen über die Zeit gut bekannten Strichcodes an den verschnürten Paletten konnten sie genau erkennen, wo welche Teile zu erbeuten waren. Vermutlich auf Bestellung wurden dann Dinge, die sich gut vermarkten ließen, oft in durchaus größeren Mengen abgezweigt. Häufig, so erklärte es ein gestern im Prozess gehörter Ermittler der Ingolstädter Kripo, wurden die Pakete sogar wieder sorgfältig mit Kunststoffbändern verschnürt, so dass die Fehlbestände mitunter erst Tage später bei der Einsteuerung in die Produktion auffielen. Über die Monate soll dem Autokonzern so ein Schaden von rund 2,4 Millionen Euro entstanden sein - mögliche Weiterungen durch Störung des Produktionsflusses noch gar nicht eingerechnet.

Audi konnte die Täter schließlich durch aufwendige interne Recherchen seiner Abteilung für Unternehmenssicherheit und anhand von Videoaufzeichnungen mittels versteckter Kameras überführen. Während die beiden Hauptakteure aus den Reihen der Lkw-Fahrer bereits im vergangenen Sommer vor dem hiesigen Landgericht wegen schweren bandenmäßigen Diebstahls zu Haftstrafen von gut fünf und knapp vier Jahren verurteilt worden waren, landen "kleinere" Mittäter nach und nach von dem Amtsgericht.

So hatte sich das Schöffengericht unter Vorsitz von Vizedirektor Günter Mayerhöfer gestern mit einem 47-jährigen Rumänen abzugeben, der nun knapp fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hat, weil er sich seinerzeit - das hat er gestern über eine Verteidigererklärung unumwunden eingeräumt - von den bewussten Kollegen breitschlagen ließ, zweimal kurz wegzuschauen, als diese sich auf seiner Lkw-Ladefläche nach interessanten Bauteilen umschauten.

Beide angeklagten Fälle hatten sich im September 2017 im GVZ abgespielt - einmal in der Halle D, wo einige Multimedia-Instrumente für Audi-Cockpits im Wert von rund 5000 Euro verschwanden, und einmal auf dem großen Parkplatz bei der Lkw-Zentrale des Werks am Hochkreisel, wo Frontkameras für die Fahrsicherheitssysteme gehobener Modellreihen geklaut wurden. Schaden hier: Rund 133000 Euro. Als Lohn für die Mithilfe soll der Rumäne von den Kumpanen 600 Euro kassiert haben.

Weil der Fall eindeutig und nichts aufwendig zu beweisen war, einigten sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung mit dem Gericht auf einen in solchen Fällen nach der Strafprozessordnung möglichen "Deal": Gegen ein umfängliches Geständnis blieb es bei einer Bewährungsstrafe, wie sie auch schon in ähnlich gelagerten Fällen verhängt worden ist: Ein Jahr und zehn Monate Haft stehen jetzt auf dem Papier, müssen aber nicht angetreten werden, wenn sich der nicht vorbestrafte Mann innerhalb von drei Jahren nichts mehr zu Schulden kommen lässt. Die seinerzeit erlangten 600 Euro Helferlohn zieht der Staat ein - wenn er sie denn bekommen kann. Der Verurteilte darf jetzt jedenfalls zurück zu seiner Familie, die er seit dem vergangenen Herbst nicht mehr gesehen hat.

Für die Polizei und die Audi AG, deren interne Ermittler immer noch mit dem Fall befasst sind, ist jetzt vor allem noch interessant, wann der flüchtige Unternehmer, der als Drahtzieher der Diebstähle verdächtigt wird, den Fahndern ins Netz geht. Der Ingolstädter mit Wurzeln in der früheren Sowjetunion hatte im Süden der Stadt eine Firma betrieben, über die die gestohlenen Teile zu den Endabnehmern in Polen verschoben worden sein sollen. Steht er eines Tages vor Gericht, dürfte die Strafe bei erwiesener Schuld wesentlich deftiger ausfallen: Als Obergrenze sieht das Gesetz bei schwerem bandenmäßigem Diebstahl zehn Jahre Haft vor.
 

Bernd Heimerl