Karlshuld
"Es ist einfach keine Luft mehr da"

Der Karlshulder Diakonie-Sozialhilfestationsleiter Robert Kiefer über die Pflegesituation auf dem Land

16.10.2013 | Stand 02.12.2020, 23:33 Uhr

Skeptisch: Robert Kiefer leitet die Diakonie-Sozialstation Donaumooser Land seit Januar 2008. Die Station betreut Kunden in Karlskron, Karlshuld, Klingsmoos und Weichering. Und das wird offenbar immer schwieriger - Foto: Hammerl

Karlshuld (DK) Der Pflegenotstand ist auf dem Dorf angekommen. In Karlshuld kämpft die Diakonie-Sozialstation Donaumooser Land darum, mit ausgedünnter Personaldecke den Bedarf zu decken.

Nun sind die Grenzen erreicht, Stationsleiter Robert Kiefer kann keine Neukunden mehr annehmen, solange er händeringend nach Pflegekräften sucht. Mit Andrea Hammerl sprach er über sein größtes Problem.

 

Herr Kiefer, bei der jüngsten Jahreshauptversammlung woll-ten Sie nicht über Hintergrundzahlen der Diakonie-Sozialstation sprechen – sind die so schlecht?

Robert Kiefer: Keineswegs. Unsere Auftragslage ist sehr gut, wir hätten normalerweise steigende Klientenzahlen, denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und somit die Nachfrage. Essen auf Räder und die hauswirtschaftlichen Dienste bleiben konstant. Im diakonischen Bereich, der vom Förderverein finanziell getragen wird, verzeichnen wir eine leichte Steigung. Aber all das ist nicht unser Thema.

 

Sondern?

Kiefer: Pflegenotstand. Wir können die anfallende Arbeit, die wir jetzt schon haben, nicht mehr schaffen, jedenfalls nicht mehr in einer Qualität, mit der wir zufrieden wären. Seit Jahresbeginn fehlen uns zwei Halbtagskräfte. Zwischenzeitlich hatten wir sie besetzt, doch leider haben beide Damen innerhalb der Probezeit wieder gekündigt. Der ambulante Bereich wird oft unterschätzt – es ist schwer, die alleinige Verantwortung zu tragen. Hinzu kommt, dass auch Angehörige und Ärzte mit an Entscheidungsprozessen beteiligt sind – auch das ist nicht so einfach.

 

Wie geht es weiter?

Kiefer: Noch schlimmer. Zum Jahresende hat eine Kollegin aus gesundheitlichen Gründen gekündigt. Nach 25 Jahren in der Pflege ist es für sie körperlich nicht mehr zu schaffen. Wir müssen nun schauen, dass wir den laufenden Betrieb irgendwie aufrecht halten, aber es ist einfach keine Luft mehr da. Ich selbst fahre seit einem Vierteljahr täglich selber raus und übernehme eine Tour, was früher nur in Ausnahmesituationen vorkam.

 

Wie viele Leute fehlen?

Kiefer: Momentan sind wir elf Köpfe, ab Januar zehn, die sich rechnerisch 7,5 Stellen teilen. Ich suche einjährig ausgebildete Pflegehelfer, besser noch Fachkräfte mit dreijähriger Ausbildung. Mit acht Stellen käme ich aus, aber ich brauche 13 Köpfe, denn unsere Kernzeit liegt zwischen 7.30 und 12 Uhr. Morgens haben wir sechs Touren, dazu eine Spättour, die meist unser Pfleger Peter Lamprecht übernimmt. Wir haben die Arbeitszeiten der Teilzeitkräfte bereits ausgeweitet, auch um Überstunden einzugrenzen, aber auf Dauer geht das nicht.

 

Warum nicht?

Kiefer: Zum einen hat das Gründe, dass unsere Leute Teilzeit arbeiten wollen, zum anderen muss ich die Frühtouren besetzen. Krank werden darf momentan niemand, sonst muss ich Touren streichen. Unser Krankenstand ist so niedrig wie noch nie. Das haben wir unserem immer noch guten Arbeitsklima zu verdanken, auch wenn die Stimmung aufgrund der Situation natürlich nicht so super ist. Aber das Zwischenmenschliche passt. Nur Nachwuchs ist nicht zu finden.

 

Wo suchen Sie?

Kiefer: Überall. Beim Arbeitsamt, im Internet, über Stellenanzeigen in Zeitungen und Jobbörsen. Nicht einmal über Zeitarbeitsfirmen sind Leute zu bekommen. Alle Einrichtungen suchen derzeit, ambulante wie stationäre. Ich kenne einen ambulanten Pflegedienst, der wegen Personalmangels zugemacht hat, andere führen Wartelisten für neue Klienten. Wir haben Aufnahmestopp – zum Schutz meiner Mitarbeiter. Vier Anfragen haben wir zuletzt abgelehnt, und das tut in der Seele weh. Schließlich sind wir eine kirchliche Einrichtung und haben einen christlichen Auftrag zu erfüllen. Dennoch – wenn sich der Personalstand nicht erhöhen lässt, müssen wir sogar den Klientenstamm runterfahren. Es wird wohl Monate dauern wird, ehe wir wieder jemanden neu annehmen können.

 

Erwarten Sie Hilfe von der Politik?

Kiefer: Es muss sich politisch beziehungsweise gesellschaftlich etwas ändern. Nur – der demografische Wandel ist schon länger bekannt, und man ist sehenden Auges ins Messer gelaufen. Dass Pflegeschüler Schulgeld zahlen müssen, ist kontraproduktiv, das gibt es sonst nicht. Wir haben derzeit einen Pflegehelfer, der sich weiterbildet. Wenn er Schulgeld zahlen müsste, würden wir das natürlich übernehmen. Was noch dringend nötig ist, ist ein Bürokratieabbau in der Pflege. Weniger Dokumentation und mehr Zeit am Menschen würden die Arbeitszufriedenheit sehr schnell erhöhen. Zudem müssten Pflegekräfte dringend besser bezahlt werden, damit wieder mehr Leute in die Pflege gehen. Dafür müssten die Leistungen der Pflege- und Krankenkassen erhöht werden.

 

Und ist das finanzierbar?

Kiefer: Ja, daher wird sich wahrscheinlich erst dann etwas ändern, wenn es einen gesellschaftlichen Ruck gibt. Die Wohlfahrtsverbände reden ja schon seit Jahren – ohne Erfolg. Es muss wohl erst eine Revolution von unten geben. Denn es zieht ja einen Rattenschwanz nach sich: Arbeitnehmer müssen ihren Job aufgeben, um ihre Angehörigen zu pflegen, wenn sie keine Pflegedienste mehr bekommen.

 

Was bieten Sie potenziellen Bewerbern?

Kiefer: Ein gutes Team, ein hervorragendes Arbeitsklima, eine Bezahlung nach AVR, zwei zusätzliche Urlaubstage, dazu den freien Buß- und Bettag. Für ambulante Fachkräfte gibt es außerdem 100 Euro Erschwerniszulage pro Vollzeitstelle, dann machen wir Gesundheitsangebote wie kostenloses Yoga und wir kooperieren mit einem Fitnessstudio – es gibt viele kleine Bausteine.