Ingolstadt
Bahn wirft Baufirma raus

24.11.2010 | Stand 03.12.2020, 3:25 Uhr

Die Kunden am Hauptbahnhof müssen mit dem Durcheinander der Baustelle noch viel länger leben als bisher geplant. - Fotos: Herbert

Ingolstadt (DK) Baustopp am Bahnhof. Nachdem die Bahn sich mit der Baufirma verkracht hat, will sie die Arbeiten komplett neu ausschreiben. Es habe "unüberbrückbare Differenzen gegeben", mehr wollte die DB AG trotz Nachfrage gestern nicht sagen.

Das Projekt droht sich um mindestens ein halbes Jahr zu verzögern.  Auf direktem Weg geht momentan am Hauptbahnhof gar nichts. Wer aus dem Gebäude heraustritt und in Richtung Gleise will, steht nach ein paar Metern vor einer provisorischen Bretterbarriere: "Baustelle = Gefahrenstelle. Unbefugte haben keinen Zutritt". Nach links geht es zur alten Unterführung, nach rechts zum "Behelfsbahnsteig Gleis 31" und zum großen neuen Tunnel, der irgendwann einmal den Fahrgästen auch behindertengerechten Komfort bieten soll.

Wenn er denn fertig wird. Denn zurzeit ist er verlassen. Aus dem betonierten Schlund ragt das Eisengeflecht heraus, teilweise hängen Plastikplanen drüber. Oben am Geländer lehnt gestern Nachmittag ein älterer Herr und schaut wehmütig in die Tiefe. "Ich hab’ gelernt bei der Bahn und ich bin bei der Bahn in Pension gegangen", kommt er ins Erzählen. "Wenn ich das hier seh’, blutet mir das Herz." Der 71-jährige Haunwöhrer holt gleich seinen Enkel vom Arzt ab. Aber vorher muss er noch schnell am Bahnhof vorbei schauen, vielleicht auf einen Ratsch mit den alten Kollegen. "Zum Besseren hat sich nix verändert bei der Bahn", klagt der ehemalige Lokführer. Wenn sich diese Baustelle noch drei, vier Jahre in die Länge ziehen würde – der alte Bahner würde sich darüber gar nicht wundern.

An Gleis 1 patrouilliert derweil mit neongelber Jacke Ralf Krüger von der Abensberger Sicherheitsfirma S4R. Er ist heute den ersten Tag da. "Was weiter passiert, wissen wir nicht." Seine Aufgabe: Aufpassen, dass die Handvoll Arbeiter, die hier noch zugange ist, nicht durch Züge gefährdet wird, also eine Art von Begleitschutz.

Einige Schritte weiter steht Harald Wolf, der mit seinem Kollegen in einen Schacht steigt, beide in leuchtendem Orange. "Wir machen die Signalverkabelung", sagt der Landshuter, der im Auftrag der Garchinger Firma SAG tätig ist. Die Spezialisten schieben tief unter dem Gleisbett Rohre und Kabel hindurch, damit später die Verbindung zwischen den Bahnsteigen stimmt. "Bis Dienstag sind wir vielleicht noch da", vermutet Wolf.

Auf die Kunden scheint das ganze Durcheinander keinen großen Eindruck zu machen. An die verwahrloste Unterführung mit ihrem muffig riechenden Gummiboden hat man sich schon lange gewöhnt. "Ich bin jeden Tag mit der Bahn unterwegs", ruft ein eiliger Fahrgast im Vorbeigehen, "ich hab’ da viel Übung."

Auf der Nordseite des Bahnhofsgebäudes, wo schon lange ein neues Hotel stehen sollte, hat die geschasste Baufirma Johann Walthelm aus Eisenach ein umzäuntes Baustofflager hinterlassen. Kabeltrommeln, Plastikrohre, Rüttelmaschinen, Stahlteile, dazwischen leere Bierflaschen, gestapelte Bretter, Container, ein kleiner Bagger – alles ist da, nur keine arbeitenden Menschen.

"Wir werden uns dazu nicht äußern", ist das Einzige, was von den Eisenachern und ihrer Mutterfirma in Nürnberg zu hören ist. Auch der Bauleiter schweigt sich aus. Er habe sich gegenüber der Bahn AG vertraglich zum Stillschweigen verpflichten müssen, sagt er am Telefon zum DK.

"Das ist sehr bedauerlich", war die erste Reaktion von Oberbürgermeister Alfred Lehmann auf die Zwangspause am Hauptbahnhof, "weil der derzeitige Zustand kaum zu ertragen ist." Mit solchen "Unwägbarkeiten" müsse man leider bei so großen Bauprojekten leben. Fatalistischer Kommentar des OB: "Mir ist aber immer noch lieber, es verzögert sich, als wenn gar nichts passiert."