Ingolstadt
Schock nach dem Schuldspruch

Falscher Bericht über Schlagstock-Einsatz gegen Fußballfan kostet Ingolstädter Polizist womöglich den Job

29.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: dpa

Ingolstadt (DK) Nicht nur beim Spiel des FC Ingolstadt II gegen Eintracht Bamberg im Juli 2013 kochten die Emotionen im Fanblock hoch. Gestern reagierten Ingolstädter Polizisten geschockt, weil einer ihrer Kollegen vom Amtsgericht Ingolstadt nach dem Einsatz im Stadion verurteilt wurde.

Damit hatte am 26. Juli 2013 niemand gerechnet. In Oberfranken vielleicht. In Ingolstadt aber sicherlich nicht. Eine Horde von rund 40 „Fußballfans“ aus Bamberg war an jenem Freitagabend für den Regionalligakick des dortigen FC Eintracht beim FC Ingolstadt II mit der Bahn in die Schanz gereist. Und einige von ihnen hatten sich offenbar fest vorgenommen, sich gewaltig danebenzubenehmen. Am Hauptbahnhof flogen Böller, bengalische Feuer wurden abgebrannt. Am ESV-Stadion, dem Spielort, überfiel ein Gästeanhänger die Kasse und raubte rund 40 Eintrittskarten. Dem folgten Beleidigungen und auch Drohungen gegenüber der Ingolstädter Polizei, die völlig überrascht von den Ausschreitungen nach Ringsee geeilt war.

Der Kartendieb wurde bald festgenommen. Darüber hinaus versuchten die wenigen Einsatzkräfte, die Gäste nach Spielende irgendwie friedlich wieder in den Zug zu bekommen und auf die Heimreise zu schicken. Am Hauptbahnhof kochten die Emotionen aber erneut hoch: Ein Teil der Bamberger wollte ohne den festgenommenen Dieb nicht heimfahren. Doch den ließ die Ingolstädter Polizei natürlich nicht einfach ziehen.

In tumultartigen Zuständen ereignete sich dann der folgenschwere Zwischenfall, der für einen Polizeihauptmeister der Ingolstädter Inspektion drastische Folgen haben könnte: Nach seinem Schlagstock-Einsatz gegen einen der Bamberger muss er seit gestern umso mehr um seinen Job fürchten. Das Amtsgericht Ingolstadt verurteilte ihn zu 16 Monaten Gefängnis. Die Strafe ist zwar zur Bewährung ausgesetzt, allerdings wird der Beamte bei Rechtskraft automatisch aus dem Dienst entfernt. Der Familienvater steht vor einem Scherbenhaufen. „Das ist eine Entscheidung, die uns nicht leichtgefallen ist, die wir uns auch nicht leicht gemacht haben“, sagte Richter Christian Veh, der mit den beiden Schöffen das Urteil fällte. Es habe aber keinen anderen Weg gegeben.

Veh erklärte den Schuldspruch ausführlich und eindringlich, weil er um dessen Tragweite weiß. Der Sitzungssaal im Amtsgericht war gestern voll besetzt mit Kollegen und Angehörigen des angeklagten Polizisten, die sich solidarisch zeigen wollten. Sie reagierten teilweise geschockt. Die Frage, die sie nicht laut stellten, die aber fortwährend mitschwang: War das der Lohn dafür, dass er, wie die anderen Ingolstädter Polizisten, hier den Kopf hinhielt? Sich gegen „einen Mob“ stellte, wie selbst Veh die „Fußballfans in Anführungszeichen“ nannte.

Der Schlagstock-Einsatz des Polizisten in der aufgeheizten Stimmung am Hauptbahnhof sei aber nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, erklärte Veh, wenngleich er die vier Schläge des Polizisten auf Oberarm und Beine des Bambergers – wie auch Staatsanwalt Ingo Christ und der Nebenklagevertreter – für überzogen, also rechtswidrig hält. Was Veh dem Polizisten massivst anlastete, war vielmehr dessen Einsatzbericht, der sich als nachweislich falsch herausgestellt hatte. Wie der Polizeihauptmeister nach geschlagener Schlacht niederschrieb, war er angeblich von dem 24-Jährigen aus Bamberg auf der Treppe zum Bahnhofstunnel in den Rücken getreten worden. Danach will er konkret gesehen haben, wie der Angreifer – übrigens mit fast 2,0 Promille betrunken – eine Bierflasche am Geländer zerschlug und mit dem Flaschenhals in der Hand auf ihn zukam. „Es wird ein massiver Angriff geschildert. Aber die Situation gab es überhaupt nicht“, sagte Veh.

Das beweist ein Video, das einer der Bamberger Anhänger mit dem Handy aufgenommen hatte. Das Gericht schaute sich die 21 Sekunden mit den Prozessbeteiligten mehrmals an. Darauf ist zu sehen: Der Bamberger versetzte dem Polizisten von hinten „einen heftigen Schubser“, die Bierflasche wurde ihm aber danach von einem anderen Polizisten weggenommen, ehe der Angeklagte mit dem Schlagstock zuhaute.

War dem beschuldigten Beamten in der angespannten Lage, die selbst der erfahrene damalige Einsatzleiter der Polizei als absolute Ausnahmesituation für Ingolstädter Verhältnisse beschrieb, „nur“ ein gravierender Wahrnehmungsfehler unterlaufen? „Klares nein“, sagte Veh. Der Einsatzbericht sei bewusst falsch geschrieben worden, so sein Vorwurf. Der Richter verdeutlichte auch die Folgen: Für den angeblich massiven Angriff wäre der Bamberger (Veh: „sicherlich kein Heiliger“) vor Gericht gezerrt worden und – ohne den Videogegenbeweis – „zu zwischen einem und eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Da lege ich beide Hände ins Feuer!“, sagte Veh. Der Richter beschrieb das gewaltige Vertrauen, das die Polizei und deren Einsatzberichte in Justizkreisen genießen (müssen), wie folgt: „Wenn der Polizeibeamte sagt, die Ampel war rot, und fünf Leute im Auto sagen, es war grün, wem glaube ich dann . . .“

Der Angeklagte konnte es dem Gericht (und offensichtlich auch sich selbst) bis zum Ende nicht erklären, wie der Bericht zustande gekommen war. Vielleicht findet er bis zur Berufungsverhandlung am Landgericht eine Antwort.