Ingolstadt
Lästern auf piratisch

Beim Bundestreffen verhöhnen die Piraten "verstaubte Politiker" – doch was unterscheidet sie?

22.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:48 Uhr

Mit Laptop, Bier und Kopftuch: Zwei Piraten stachen aus der Menge hervor. Sie zogen kurzerhand das Kostüm aus dem Nürnberger Faschingsumzug wieder an. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Verkrustet, altbacken, geradezu verwerflich: Wenn die Piraten eins nicht sein wollen, dann ist das eine traditionelle Partei. Doch wie weit sind sie davon eigentlich noch entfernt? Eine nicht ganz ernst gemeinte Spurensuche auf dem „Piratigen Aschermittwoch“ in Ingolstadt.


Fähnchen, Tischdekoration, T-Shirts: Orange herrscht vor im Ingolstädter Stadttheater. Eine Farbe haben sie also, die Piraten (das ist wichtig für eventuelle Koalitionen) und Erkennungszeichen gibt es auch: Laptop, Handy, Tätowierung, lange Haare, Ohrring, Kopftuch – mindestens eines der Erkennungszeichen trägt jeder. Gut, das war jetzt über das Ziel hinausgeschossen: Ein paar Normalos mischen sich auch unter die rund 250 Piraten im Stadttheater.

Aber ganz am Rande des Festsaals sitzen zwei Paare, die hervorstechen. Die älteren Herren beim Weißbier, die Damen beim Kaffee, beobachten die Herrschaften das piratige Treiben mit gebotener Distanz. Was machen die bloß bei den Piraten? „Wir sind von der Rentner-Partei“, erklärt Manfred Link, der stellvertretende Bundesvorsitzende. Die Frage jedoch bleibt: Was machen die bloß bei den Piraten? Klar, räumt Link ein, mit QR-Code, Twitter und Facebook können die Rentner nur wenig anfangen. Aber ansonsten gebe es viele Gemeinsamkeiten: in der Sozial- und der Gesundheitspolitik zum Beispiel. Da könne man sich von Rentnerseite durchaus eine engere Zusammenarbeit vorstellen. Und die Sympathie scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen: Immerhin wurden die Rentner von niemand geringerem als Stefan Körner eingeladen, dem Landesvorsitzenden der Piraten. Na also: Ein Koalitionspartner ist auch gefunden.

Was fehlt da eigentlich noch? Stimmt, ein Programm. Eins, das über Datenschutz, Urheberrecht und Freiheit im Internet hinausgeht. Das bundesweite steht: Die Reden im Festsaal reichen thematisch von Europa in der Krise über die Deutsche Bahn, die Bildungspolitik bis hin zu der Frage, ob es überhaupt noch Politiker in Bayern gibt. Dann muss also noch ein lokales Programm her. „Haben wir“, erklärt Benedikt Schmidt. Der Ingolstädter Kreisvorsitzende der Partei kündigt damit auch gleich sein Antreten für die nächste Stadtratswahl an. „Ich will den drei Mächtigen im Stadtrat, die momentan hier alles bestimmen, mal zeigen, wo es langgeht“, sagt er. Und: „Das muss auch schon mal wehtun“, erklärt der 28-Jährige, den bei den Piraten jeder nur als „Boomel“ kennt. Und sonst? Thematisch? „Priorität Nummer eins hat die Live-Übertragung der Debatten aus dem Stadtrat“, sagt er und stützt damit die Idee der Grünen. Außerdem müsse eine bessere Infrastruktur her: „Die INVG, die ist doch Mitte der Neunziger hängengeblieben“.

Und wenn Parteien Programme haben, gibt es auch Parteiflügel: „Wir nennen das aber eher Interessengruppe“, wehrt Andreas Popp das in seinen Augen verstaubte Wort ab. Genau so eine hat er gegründet und am Samstag der Öffentlichkeit präsentiert: die Gruppe 42 – überall Thema im Festsaal. „Ein uralter Nerd-Witz“, erklärt er den Namen in Anlehnung an Douglas Adams Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“, in dem die Zahl die absurde Antwort auf „die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ ist. Doch hinter dem Nerd-Witz steht ein ernster Gedanke: „Wir befürchten, dass unsere Kernthemen verloren gehen“, sagt er. Bei aller Sozial- und Umweltpolitik bleibt offenbar zu wenig Zeit fürs Internet. „Aber das ist nur als Ergänzung, nicht als Affront gegen die Piraten gedacht“, erklärt er – in der Eile der Gründung sei da ein falscher Eindruck entstanden.

Was fehlt jetzt noch? Streitereien, genau – Zerrissenheit. „Das haben wir perfektioniert“, erklärt Benedikt Schmidt bei einer Zigarette vor dem Stadttheater. Selbst über die Speisekarte für die Aschermittwochsveranstaltung hätten sich die Piraten untereinander gestritten – nicht, weil das Essen natürlich im Internet vorbestellt werden konnte, sondern weil die Karte rein vegetarisch ist. „Da hieß es dann: Warum schreibt ihr uns vor, dass wir kein Fleisch essen dürfen“ Schmidt lacht: „Wir streiten uns unglaublich untereinander, immer und überall – bis jemand von außen kommt, auf den wir schimpfen können.“

Und damit sind wir beim letzten Punkt: Abgrenzung vom politischen Gegner. Dafür müssen wir zurück in den Festsaal. Da wird gepoltert gegen die Konkurrenz wie bei den Alten: „Schlimm genug, dass der Seehofer gerade Bundespräsident ist“, heißt es da, und „der Aiwanger, der soll beim Fax bleiben, wenn er Twitter für Mist hält.“ Nur auf eine Partei will keiner schimpfen: „Über die FDP will ich jetzt nichts sagen, das wäre wie nachtreten“, verkündet Schmidt und trinkt – kein Weißbier wie die anderen, sondern Pils.