Ingolstadt
Mit den Nerven am Ende

Nach dreieinhalbstündiger Debatte hinter verschlossenen Türen hebt der Stadtrat Tobias Klein ins Amt

23.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:10 Uhr

Die Öffentlichkeit musste gestern ziemlich lange draußen bleiben: Dreieinhalb Stunden lang debattierte und stritt der Stadtrat über die Besetzung des Geschäftsführerpostens der neuen städtischen Veranstaltungs gGmbH. Tobias Klein, zuletzt der einzige Kandidat, wurde mit 36 zu 13 Stimmen gewählt. Am Ende waren fast alle entnervt. Klein ist der Ehemann der designierten CSU-Fraktionsvorsitzenden Patricia Klein. Auch deshalb hatte die Personalie in den vergangenen Wochen viel Kritik ausgelöst. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Tobias Klein ist gestern vom Stadtrat mit 36 zu 13 Stimmen zum Geschäftsführer der städtischen Veranstaltungs-GmbH gewählt worden - nach einer hitzigen dreieinhalbstündigen nichtöffentlichen Debatte. Am Ende waren fast alle entnervt. Auch die Zuschauer, die lang vor dem Saal warteten.

Eine für diesen denkwürdigen Nachmittag und Abend bezeichnende Szene vorweg: Kurz vor 19 Uhr - die Stadtratssitzung währt da schon seit fast drei Stunden - verlässt Eva-Maria Atzerodt eilenden Schrittes den Saal. Die CSU-Stadträtin muss dringend zur Probe des Motettenchors. 80 Sängerinnen und Sänger warten auf sie, die Leiterin. Nächste Woche hat der Chor Konzert, es pressiert also. Doch Atzerodt kommt nicht weit. Ihr Parteifreund, Bürgermeister Albert Wittmann, fängt sie noch an der Tür ab und zieht sie in den Sitzungssaal zurück. Jede Stimme zählt! Die Stadträte arbeiten sich immer noch an Tagesordnungspunkt 1 ab: Wahl des Geschäftsführers der städtischen Veranstaltungsgesellschaft. Daran werden sie sicher noch lange denken.

Auch die Zuschauer. Zumindest jene, die bis zum frühen Abend vor dem Saal durchgehalten haben. Der Stadtrat verhandelt nichtöffentlich, wie bei Personalfragen üblich. Das wird an diesem Tag zu einer großen Nervenprobe - und für viele Ingolstädter, für die es die erste Stadtratssitzung werden sollte, zu einer Riesenenttäuschung.

Die Sitzung beginnt mit ungewohnt starkem Andrang. Die meisten Besucher sind wegen der Erhöhung der Gebühren in den städtischen Kindertagesstätten um 16 Prozent gekommen. Darüber soll der Stadtrat nun entscheiden. Drei Dutzend Mütter, Väter und Kinder empfangen die Stadträte ab 13.30 Uhr vor dem Rathaus mit Protesttransparenten, Schildern und Trillerpfeifen. Doch bevor die Vollversammlung zusammentritt, tagen erst einmal der Kultur- und der Finanzausschuss gemeinsam. Thema: die Bewerbung der Stadt für ein Digitales Gründerzentrum im Kavalier Dallwigk. Die Aussprache entwickelt sich rasch zu einer Grundsatzdebatte über das Europäische Donaumuseum, das dessen Förderer eigentlich für diesen alten Festungsbau vorgesehen hatten. Wenig überraschend dauert die von 14 bis 15 Uhr angesetzte Sitzung bis 16.15 Uhr. Der Stadtrat beginnt also mit deutlicher Verspätung. Die Zuschauerränge sind fast voll. Und kaum hat jeder Platz genommen, bittet OB Christian Lösel alle Besucher mitsamt den Journalisten nach draußen, wie es Vorschrift ist in nichtöffentlichen Sitzungen. Die Wartenden auf dem Rathausflur bekommen allerdings sehr deutlich mit, wie mit jeder Stunde, die ohne Entscheidung über den Geschäftsführer der neuen städtischen gGmbH verstreicht, im Saal Zank und Verdruss offenbar bis dato unbekannte Grenzen überwinden.

Immer wieder kommen einzelne Stadträte kurz heraus. Erzählen dürfen sie nichts - aber ihre Gesichter sprechen Bände. Die Gesten immer genervter, die Blicke zunehmend düster. Bald können sich manche nicht mehr beherrschen. "So ein Kasperltheater!", schimpft ein Christsozialer voller Inbrunst, damit es auf dem Gang alle hören können. "Was für ein Schmierentheater!", stöhnt ein Stadtrat, als er kurz entflieht. Ein Sozialdemokrat schlägt die Tür zu und stampft zur Toilette. Auf dem Weg zischt er ein böses Wort aus dem Sanitärbereich. Hans Süßbauer (CSU), ganz korrekter Beamter, sagt kein Wort, lässt aber auf dem Flur vor der nur noch sehr vereinzelt anwesenden Öffentlichkeit einem genervten "Boooh!" freien Lauf - fast so, als habe er gerade zwölf Stunden Euro-Verhandlungen mit der griechischen Regierung hinter sich.

Die Eltern, die eigentlich wegen der Debatte über die Kindergartengebühren gekommen sind, verlassen nach und nach das Rathaus. Stinksauer. "Das ist eine Unverschämtheit! Warum hat man den Punkt mit dem Geschäftsführer nicht ans Ende der Sitzung gesetzt", klagen die Väter und Mütter. Mehrere Eltern, die so lange ausharren wollen, bis sie wieder in den Saal dürfen, organisieren per Smartphone spontan eine Betreuung für die Kinder daheim.

18.36 Uhr: Tobias Klein, einziger Kandidat für den neuen Geschäftsführerposten, betritt den Saal. 19.25 Uhr: Eva-Maria Atzerodt stürmt hinaus. Zur Chorprobe. Mit finsterem Blick. Die Entscheidung ist gefallen. 36 zu 13 Stimmen für Klein.

Jetzt lassen viele Stadträte ihrem Ärger freien Lauf. "Das war keine Sternstunde der Demokratie", sagt Robert Bechstädt (SPD). Nach wenigen Minuten Pause lässt Lösel weitertagen. Als es um die Kindergartengebühren geht, sind die Kleinen daheim sicher längst im Bett.